Die Hitzerekorde fallen diesen Sommer gleich reihenweise: Noch nie lag die Nullgradgrenze so hoch wie Ende Juli. Schon im Juni zeigte das Thermometer rekordhohe 36.9° C. Und Hitzetage mit Temperaturen von über 30° C gab es etwa in Basel und Genf bereits jetzt so viele wie in anderen heissen Sommern insgesamt.
Dass seit Mitte Juni darum mehr Menschen aus der Gruppe der über 65-Jährigen sterben, überrascht Martin Röösli nicht. «Was mich aber überrascht, ist das Ausmass dieser Übersterblichkeit. Es sind innert sechs Wochen doch fast tausend Menschen mehr gestorben, als statistisch zu erwarten war», stellt der Professor am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel fest.
Was uns überrascht, ist das Ausmass dieser Übersterblichkeit.
Hitzesommer unter der Lupe
Röösli hat die vergangenen Hitzesommer ausgewertet und festgestellt, dass die Hitzewellen von 2015 bis 2019 bei ähnlichen Temperaturen weniger Übersterblichkeit verursacht haben, was auf wirksame Schutzmassmassnahmen nach dem Hitzesommer 2003 zurückgeführt worden war.
Solche Massnahmen seitens der Behörden können etwa Hitzewarnungen an die Bevölkerung sein, aber auch Empfehlungen für das Pflegepersonal in Altersheimen, wie die besonders gefährdeten Bewohnerinnen und Bewohner vor den Folgen einer Überhitzung geschützt werden können.
Frühe erste Hitzewelle
Doch jetzt im Sommer 2022 wirken diese Massnahmen anscheinend nicht mehr gleichermassen gut, wie die deutlich höhere Übersterblichkeit nahelegt. Mit ein Grund könnte laut Röösli sein, dass die allererste Hitzewelle bereits Mitte Juni und damit sehr früh anrollte: Dann seien die Auswirkungen grösser, weil sich die Bevölkerung noch nicht richtig an die Hitze gewöhnt habe. Dieses Phänomen sei aus anderen heissen Sommern bekannt.
Frühe erste Hitzewellen wirken sich stärker aus, weil die Bevölkerung noch nicht an die Hitze gewohnt ist.
Und dann ist da noch die Corona-Pandemie. In den Monaten Juni und Juli starben insgesamt gut 160 Menschen mit einer bestätigten Corona-Infektion, was rund 15 Prozent der gesamten Todesfälle ausmachte. Die zirkulierenden Omikron-Varianten tragen also nur zu einem kleinen Teil zur aktuellen Übersterblichkeit bei.
Noch geschwächt nach Corona?
Allenfalls habe die Pandemie aber doch einen grösseren Einfluss, merkt Umwelt-Epidemiologe Röösli an. Gerade bei Covid zeigten immer mehr Studien, dass selbst nach einem moderaten Krankheitsverlauf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch über längere Zeit erhöht sei: «Möglicherweise gibt es hier eine Wechselwirkung, dass ehemals an Corona Erkrankte die Hitze schlechter vertragen, und das betrifft insbesondere ältere Leute.»
Selbst nach einem moderaten Covid-Verlauf ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch über längere Zeit erhöht.
Hinzu kommt, dass während der vergangenen zweieinhalb Jahre mehrere tausend Menschen aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus ins Spital eingeliefert werden mussten. Jene, die auf der Intensivstation gepflegt werden mussten, erlitten oftmals längerfristige Schädigungen an verschiedenen Organen. Sie reagieren nun möglicherweise besonders empfindlich auf Hitze.
Die genaueren Ursachen hinter den aktuellen Todesfällen wird das Bundesamt für Statistik erst in ein- bis zweieinhalb Jahren vorlegen können. Bis dann wird auch klar sein, ob der erst noch bevorstehende August weitere Hitze-Todesopfer fordern wird. Ein europaweites Monitoring zeigt, dass die Übersterblichkeit in vielen Ländern mit intensiven Hitzewellen teils stark ansteigt.