Hohe Qualifikation, grosse Hoffnungen: Fast 60 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge haben gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Migration SEM einen Hochschulabschluss. Das liegt auch daran, dass das ukrainische Bildungssystem anders aufgebaut ist. Dennoch sind viele ukrainische Flüchtlinge gut ausgebildet und mussten in der Schweiz zuerst ihre Erwartungen zurückschrauben. «Für viele ist das demotivierend», sagt Nina Gilgen, Co-Präsidentin der Konferenz der Schweizer Integrationsdelegierten. «Gut Qualifizierte brauchen zum Teil länger, um eine Stelle zu finden.» In Beratungsangeboten müssten ihnen Alternativen aufgezeigt werden – branchennahe Stellen etwa, wo sie eine Chance auf Anstellung haben, aber auch ihre Kompetenzen einsetzen können.
Gut Qualifizierte brauchen zu Teil länger, um eine Stelle zu finden.
Spezialisierter Arbeitsmarkt: In der Schweiz sei für viele Berufe ein anerkannter Abschluss erforderlich, über den ukrainische Flüchtlinge in der Regel nicht verfügten, schreibt das SEM auf Anfrage. Die Mehrheit der erwerbstätigen Ukrainerinnen und Ukrainer hätten daher nicht in ihrem angelernten Beruf eine Stelle gefunden. Jedoch hätten Analysen des SEM gezeigt, dass viele bereits in der Ukraine nicht in dem Bereich gearbeitet hatten, in dem sie die Ausbildung abgeschlossen haben.
Ausländische Diplome: Dennoch seien die aufwändigen Verfahren bei der Anerkennung von ausländischen Diplomen ein Problem, kritisiert Nina Gilgen von der Konferenz der Schweizer Integrationsdelegierten. «Es gäbe beispielsweise einen grossen Bedarf an Psychologinnen und Psychologen auch für ukrainisch- und russischsprachige Menschen.» Personen mit einer entsprechenden ukrainischen Ausbildung dürfen in der Schweiz aber nicht auf ihrem Beruf arbeiten.
Sprachkenntnisse: Eine weitere Hürde bei der Stellensuche sind die Sprachkenntnisse. Die Sprachbarriere in der Schweiz sei höher als in anderen Ländern, schreibt das SEM, weil Englisch in den meisten Branchen keine Arbeitssprache sei. Nina Gilgen verweist zudem darauf, dass gerade in Berufen, in denen höheren Qualifikationen gefragt sind, auch die Anforderungen an die Sprachkenntnisse hoch seien. Im letzten Jahr hätten sich die Sprachkompetenzen gemäss dem SEM aber deutlich positiv entwickelt. So sei der Anteil Anmeldungen für Sprachkurse auf dem Niveau B1 von vier Prozent im Jahr 2023 auf 17 Prozent im ersten Halbjahr 2024 gestiegen.
Hier arbeiten Ukrainerinnen und Ukrainer: Die ukrainischen Geflüchteten haben in den unterschiedlichsten Bereichen eine Arbeit gefunden. Nicole Hostettler, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden und Leiterin des Amtes für Wirtschaft und Arbeit im Kanton Basel-Stadt sagt: «Diese Vielfalt haben wir von Anfang an festgestellt. Stellen konnten etwa in Architekturbüros, Finanzinstituten, im Unterrichtswesen und in Gärtnereien vermittelt werden.»
Ein Bereich sticht in der Statistik jedoch hervor: Rund 20 Prozent der erwerbstätigen Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten derzeit im Gastgewerbe. Das sind etwas weniger als zu Beginn des Kriegs. Auch sind inzwischen weniger ukrainische Geflüchtete in der Landwirtschaft tätig, schreibt das SEM. Dies lasse die Vermutung zu, dass Personen mit Schutzstatus S nun vermehrt auch in Branchen mit höheren Einstiegsbarrieren Fuss fassen.