Etwa die Hälfte der Corona-Todesfälle finden in Alters- und Pflegeheimen statt. Wer dort Angehörige besucht, sieht immer wieder neue Fotos von verstorbenen Altersheimbewohnerinnen und -bewohnern. Wie die Gesellschaft dem Tod begegnen könnte, sagt Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle.
SRF News: Was macht es mit uns, wenn die Betagten abgeschottet in Alters- und Pflegeheimen sterben?
Ruth Baumann-Hölzle: Ich denke, es ist eine Chance für unsere Gesellschaft, dass uns Covid deutlich macht, was es zum Sterben brauchen würde. Das ist Beziehung, das ist Zeit, Raum und Zuwendung. Unsere Gesellschaft spart an Raum und Zeit. Daher fehlt oftmals die Zeit für das gelingende Abschiednehmen von Sterbenden. Und wir haben das Sterben in vielen Fällen ausgelagert in Institutionen, in Alters- und Pflegeinstitutionen aber auch ins Spital.
Was es fürs Sterben braucht, ist letztlich auch das, was es für ein gelungenes Leben braucht.
Oft meinen wir, wir könnten die Sterbebegleitung dem Personal überlassen. Doch wir müssen das Sterben und vor allem das Abschiednehmen von sterbenden Menschen in unsere Gesellschaft hineinnehmen, uns bewusstwerden, was es braucht fürs Sterben. Das ist nämlich letztlich auch, was es für ein gelungenes Leben braucht.
Viele finden die Situation im Moment furchtbar: Betagte sind quasi im Altersheim eingeschlossen und schauen zu, wie Zimmer um Zimmer um sie herum leer wird. Wie kann man in einer solchen Situation Trost finden, als Betroffene und als Angehörige?
Kann man Trost als Betroffene, als Sterbende finden? Das hängt sehr davon ab, wie weit ich mir selbst überhaupt noch Trost verschaffen kann. Einerseits ist da das Personal, welches sich in ganz vielen Fällen sehr stark bemüht. Allerdings hängt es von den Rahmenbedingungen ab, wie viel Personal eine Institution zur Verfügung stellt, auch wie viel Personal ausgebildet ist, um sterbende Menschen zu begleiten.
Anderseits ist es auch eine Frage der Zugänglichkeit von Angehörigen. Es ist wichtig, dass Angehörige sich von den sterbenden Menschen verabschieden können, damit sie nachher auch wieder gut weiterleben können.
Manche reagieren mit Schulterzucken und sagen, dass man am Ende ja an etwas sterben müsse. Haben wir Mühe mit dem Tod an sich? Hat er in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr?
Das zeigt uns die Covidkrise: Der Tod gehört zum Leben. Wir können ihn nicht mehr ausblenden, weil er allgegenwärtig ist, auch in den Medien. Diese Chance müssen wir packen. Die Palliativmedizin ist unterfinanziert. In den Altes- und Pflegeheimen fehlen sehr oft Ressourcen, Pflegekräfte. Es fehlt oftmals auch an Ausbildung. Es hat sich auch in der Pandemie gezeigt, dass zum Teil Personal nicht wusste, mit wie man mit Schutzmaterial umgeht.
Wenn die Pandemie vorbei ist, müssen wir genau an diesen Punkten, die jetzt so deutlich zutage treten, arbeiten. Wir müssen miteinander Abschied und Sterben gestalten.
Kürzlich hat eine Autorin in der Sonntagspresse gefordert, dass es einen Betreuungsurlaub brauche, um sterbende Angehörige zu begleiten. Und ich glaube, so wie Kinder, wenn sie zur Welt kommen, begleitet werden müssen, müssen wir auch Menschen – Menschenkinder im weitesten Sinne – im Sterben begleiten.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.