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Über 40 Tote Schafe nach Sturz von Bündner Felswand
Aus News-Clip vom 27.06.2022.
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Unglück in Graubünden Schafe stürzen auf Bündner Alp in den Tod – war's der Wolf?

Auf einer Alp in der Region Surselva sind 71 Schafe eine Felswand hinabgestürzt, über 40 davon starben. War's der Wolf oder wird er zum Sündenbock gemacht?

Es sind eindrückliche Bilder zu Beginn der Alpsaison: Inmitten saftig grüner Wiesen im Val Cristallina in der Surselva liegen Dutzende tote und verletzte Schafe am Fuss einer Felswand. Was ist hier passiert? Darüber rätseln derzeit auch die Bündner Behörden.

Klar ist: Am vergangenen Samstag stürzte ein Teil einer Schafherde, insgesamt 71 Tiere, auf der Alp im Bündner Oberland in die Tiefe. 43 dieser Schafe starben oder mussten nach dem Sturz von ihrem Leiden erlöst werden, 28 weitere stehen laut Arno Puorger vom Amt für Jagd und Fischerei Graubünden wegen Verletzungen unter Beobachtung.

Es gibt verschiedene Indizien, die beim Absturz auf den Wolf hindeuten.
Autor: Arno Puorger Amt für Jagd und Fischerei Graubünden

Noch sei die Ursache für das Unglück unklar, doch die naheliegendste Vermutung sei der Wolf, sagt Puorger: «Ein Schaf weist im Bereich des Halses eine Verletzung auf, die typischen Wolfsbissen ähnelt. In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag wurden zudem im betroffenen Gebiet mehrere Wölfe beobachtet. Es gibt also verschiedene Indizien, die beim Absturz auf den Wolf hindeuten.» Zudem ist bekannt, dass rund um den Lukmanierpass das Stagias-Rudel ansässig ist, eines von sechs Wolfsrudeln in Graubünden.

Dass einzelne Schafe eine Felswand hinabstürzen, kommt in der Schweiz immer mal wieder vor. Dass es jedoch gleich deren 71 sind und womöglich der Wolf die Schuld daran trägt, sei aussergewöhnlich, betont Puorger. «Es wäre an sich nicht überraschend, dass im alpinen Gebiet während eines Wolfsangriffs eine Herde abstürzt. Wenn der Absturz der Schafe aber effektiv mit dem Wolf zusammenhängt, ist das in seiner Grösse ein aussergewöhnlicher Fall.»

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Alpmeister Christian Unterholzner zu RTR: «Viele Schafe hatten Beinbrüche und innere Verletzungen»
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Die 43 getöteten Schafe seien eine Tragödie, betont Lukas Berger, Präsident des Schweizerischen Schafzuchtverbandes. Der finanzielle Schaden für den Hirten sei gross: Ein Schlachtlamm sei derzeit rund 300 Franken wert, ein erwachsenes Tier im Durchschnitt bis zu 800 Franken. «Die Entschädigungen des Bundes decken den realen Wert der Schafe jedoch meist nicht ab. Noch grösser als die finanzielle Einbusse ist zudem der emotionale Schaden, den so viele tote Tiere hinterlassen», sagt Berger. Ein Hirte ziehe seine Schafe auf und habe einen emotionalen Bezug zu ihnen, unabhängig von der Grösse der Herde.

So werden gerissene Schafe entschädigt

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Das Schweizer Jagdgesetz sieht vor, dass Bund und Kantone sich an einer Entschädigung von durch Wildtiere verursachtem Schaden beteiligen. Gemäss Jagdverordnung übernimmt der Bund 80 Prozent der Schäden, der Kanton 20 Prozent. Die Kantone erheben – meist durch einen Wildhüter – vor Ort die Situation, erstellen ein Rissprotokoll und beurteilen, ob es sich um einen Wolfsriss handelt.

«Die Rückvergütung des Bundes an die Kantone ist gemäss Konzept Wolf Schweiz nicht an das vorgängige Ergreifen von Herdenschutz-Massnahmen geknüpft», schreibt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf Anfrage. Die Kantone könnten aber für die Vergütung an die Landwirte vorgängig zu ergreifende Schutzmassnahmen voraussetzen.

Wie viel ein Hirte für ein gerissenes Schaf erhält, entscheidet der zuständige Kanton. Als Beurteilungsgrundlage werden die Werttabellen der landwirtschaftlichen Zuchtverbände angewendet. Entscheidend sind Faktoren wie Alter, Rasse und Geschlecht des gerissenen Tieres. Arno Puorger vom Amt für Jagd und Fischerei Graubünden spricht von durchschnittlich 250 bis 400 Franken pro Schaf.

Entschädigungen für Schafrisse erhält ein Hirte zudem nur, wenn nachweislich Grossraubtiere den Schaden verursacht haben. Hier folgt das nächste Problem: Selbst wenn ein Wolf die 71 Schafe auf der Bündner Alp über die Felswand gejagt hat – lassen sich davon keine Spuren finden, gibt es grundsätzlich kein Geld. Viele Kantone seien jedoch kulant, wenn Nutztiere mit grosser Wahrscheinlichkeit als Folge eines Wolfsangriffs abgestürzt seien, schreibt das Bundesamt für Umwelt auf Anfrage.

Totes Schaf im Val Cristallina.
Legende: Eines der verendeten Schafe im Val Cristallina in der Surselva. RTR/Seraina Derungs

Die 71 verendeten Schafe gehörten zu einer Herde von gesamthaft 1600 Tieren. Sie wurden von einem Hirten und sechs Herdenschutzhunden bewacht und in der Nacht eingepfercht. Sechs Hunde entsprechen gemäss der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea der sinnvollen Obergrenze des Herdenschutzes.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Schafe ausreichend geschützt waren. Wie nahe waren die 1600 Schafe beieinander? Konnten die Hunde die Übersicht behalten? Oder liegt die Schuld doch beim Wolf? «Wölfe lernen mit der Zeit, die Herdenschutz-Massnahmen zu umgehen. Ich habe von ähnlichen Fällen in Graubünden und im Wallis gehört», sagt Lukas Berger vom Schafzuchtverband.

Wird der Wolf zum Sündenbock? Das sagt die Gruppe Wolf Schweiz

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David Gerke, Präsident der Gruppe Wolf Schweiz, widerspricht der Aussage des Schafzuchtverbandes, dass Wölfe mit der Zeit lernen, Herdenschutz-Massnahmen zu umgehen. «Eine Bestätigung dafür gibt es nicht. In unseren Augen wirkt der Herdenschutz ständig besser, denn die Zahl der gerissenen Nutztiere pro Wolf ist weiterhin tief.» Gerke verweist auf eine Mitteilung der Gruppe Wolf Schweiz, wonach 2021 pro Wolf weniger als sechs Nutztiere gerissen wurden, der tiefste Wert seit vielen Jahren. Das zeige, dass der Herdenschutz gut funktioniert.

Auch der Forderung von Schafhirten, den Wolfsbestand durch präventive Abschüsse zu regulieren, sieht Gerke kritisch. «Wölfe werden durch Abschüsse nicht einfach zu Vegetariern. Einfach den Wolfsbestand in der Zahl zu reduzieren, wird ihr Verhalten nicht ändern. Wenn man Wölfe erziehen will, muss man sie dort vergrämen, wo sie unerwünschtes Verhalten zeigen – ob durch Abschuss oder andere Massnahmen.»

Der Bund hat im Mai schweizweit zusätzliche 5.7 Millionen Franken als Sofortmassnahme für Herdenschutz während des Alpsommers zur Verfügung gestellt. Berger schätzt die Gesamtkosten für Herdenschutz-Massnahmen pro Alpsommer auf 20 bis 30 Millionen Franken. Der Aufwand für einen Schutzhund belaufe sich auf etwa 5000 Franken pro Jahr.

Wenn die aufwendigen Schutzmassnahmen umsonst sind, frustriert das die Schafhirten.
Autor: Lukas Berger Präsident Schweizerischer Schafzuchtverband

«Wenn die meist teuren und aufwendigen Schutzmassnahmen umsonst sind, frustriert das die Schafhirten und immer mehr verlassen die Alp», sagt Berger. Die Lösung aus Sicht des Schafzuchtverbandes und vieler Hirten: Wölfe in Rudeln präventiv abschiessen, um so den Bestand regulieren zu können.

Beim verendeten Schaf mit der Wolfsbiss-ähnlichen Halsverletzung werden nun DNA-Spuren untersucht. Damit soll evaluiert werden, ob und wenn ja, welcher Wolf oder welches Rudel während des Absturzes anwesend war. Dies ist auch entscheidend, um die toten Schafe dem Abschusskontingent eines Wolfsrudels zuordnen zu können – sollte effektiv ein Wolf beteiligt gewesen sein. Denn präventive Wolf-Abschüsse sind trotz Forderungen von Schäfern in diesem Alpsommer noch kein Thema.

Kommission des Ständerats will Wölfe vorbeugend regulieren

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Wölfe sollen künftig nicht nur geschossen werden dürfen, wenn sie Schäden angerichtet haben, sondern auch, um künftige Schäden zu verhüten. Die Umweltkommission des Ständerats hat am Freitag einen neuen Anlauf für eine Anpassung des Jagdgesetzes genommen. Im Zentrum steht die proaktive Regulierung von Wolfsbeständen.

2020 lehnten die Stimmberechtigten das Jagdgesetz ab, mit dem die Wolfsjagd neu geregelt worden wäre. Bei einem Ja hätten Wölfe präventiv geschossen werden dürfen, also auch dann, wenn sie noch keinen Schaden angerichtet haben. Die Umweltkommission des Ständerats schlägt nun einen neuen Artikel 7a im Jagdgesetz vor. Er soll rechtliche Grundlage für den vorbeugenden Abschuss von Wölfen sein. Bevor ein Wolf getötet werden kann, muss aber wie heute das Bundesamt für Umwelt seine Zustimmung geben. (sda)

Regionaljournal Graubünden, 27.06.2022, 17:30 Uhr

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