Es herrsche eine «Migrationskrise», sagte der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr anfangs Jahr vor Medien, als er die ehemalige Polizeikaserne zur temporären Asylunterkunft ernannte. Das Ziel: Den Kapazitätsengpass im Asylbereich entschärfen.
Insgesamt gibt es Platz für 300 Personen. Sortiert nach Gruppen, in unterschiedlichen Etagen untergebracht. Familien, Ukrainerinnen, alleinstehende Männer und - auf dem 3. Stock - Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung in die Schweiz geflüchtet sind. Nun zeigen Recherchen: Auf dieser Etage, wo die Minderjährigen leben, soll es in letzter Zeit vermehrt zu Unruhen gekommen sein.
Schlaflose Nächte, enge Verhältnisse, Schlägereien
SRF hat mit mehreren Personen aus dem Umfeld der Polizeikaserne gesprochen. Sie erzählen von einem hohen Stresslevel und unzureichender Betreuung.
Eine, die ihre Kritik nun öffentlich äussert, ist Sandra Rumpel. Die Psychotherapeutin hat mit dem Verein Family-Help Erfahrung in der Begleitung von jungen Asylsuchenden, die psychische Unterstützung benötigen. Sie hat mit über einem Dutzend Bewohnenden der Polizeikaserne gesprochen: «Die Jugendlichen haben erzählt, sie hätten zu wenig Privat- und Intimsphäre». Weiter würden die jungen Menschen zu zwölft in den Zimmern wohnen.
SRF liegen die Innenbau-Pläne der Kaserne vor. Darin wird ersichtlich, dass bis zu 26er-Zimmer eingeplant sind.
SRF hat mit weiteren Personen gesprochen, die sich mit der Situation in der Polizeikaserne auskennen. Sie bestätigen die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten und dass die Betreuung aus Kapazitätsgründen nicht kontinuierlich gewährleistet sei. Zudem wirke sich das Fehlen einer Tagesstruktur negativ auf die psychische Gesundheit der Jugendlichen aus.
Einige betonen das Positive: Viele der Jugendlichen seien mit der Unterkunft unglücklich, aber mit dem Standort zufrieden. Zum Beispiel sei das Freizeitangebot diverser und altersgerechter als bei Unterkünften am Stadtrand.
Zusätzliche Belastung für traumatisierte Personen
Die Situation ist für viele Bewohnende eine Belastung. Gegenüber dem Tages-Anzeiger erzählt ein Asylsuchender, er habe die Perspektive verloren: «Ich fühle mich nutzlos». In den Zimmern herrsche ein Kommen und Gehen. Die Stimmung sei gedrückt, so der junge Mann.
Fehlende Orte der Ruhe sind gemäss Sandra Rumpel die Ursache für die Aufregung in der Unterkunft: «Wenn sie nicht schlafen können, leben sie ihre Erfahrungen vor dem inneren Auge noch einmal durch.» Einige würden dann schreien oder in Ohnmacht fallen – was dann wiederum für Personen, die dies miterleben, Stress begünstige oder Konflikte auslösen könne.
Kritikpunkte wiederholen sich
Die Kritik zur Polizeikaserne ist brisant - da ähnliche Aspekte Thema sind, wie letztes Jahr bei der Unterkunft Lilienberg in Affoltern am Albis. Ein Prüfbericht kam damals zum Schluss, die Betreuungssituation sei «besorgniserregend». Kritisiert wurden fehlende Rückzugsmöglichkeiten und unzureichende sozialpädagogische Betreuung. Die zuständige Organisation AOZ hat in Lilienberg Massnahmen angekündigt.
Sandra Rumpel kennt die Situation in beiden Unterkünften. Sie sagt zur Polizeikaserne: «Ich würde sagen, die Situation wiederholt sich nicht nur, sie ist noch schlimmer geworden.» Der Kanton hat auch auf den Vorwurf, die Zustände der Polizeikaserne seien vergleichbar mit jenen in der Unterkunft Lilienberg, nicht reagiert.