Am Stadtrand von Wil SG liegt der Bauernhof von Zeno Stadler, direkt an zwei stark befahrenen Strassen mit Tempo 80. Auf der anderen Strassenseite die Weide für seine Kühe – für den Landwirt und seine Frau ein wachsendes Problem.
«Bisher mussten wir die Kühe immer zu zweit über die Strasse treiben. Morgens, mittags und abends im Berufsverkehr war das fast unmöglich», berichtet Stadler. Und der Verkehr nehme immer mehr zu.
Für den Landwirt, der den Familienbetrieb in vierter Generation führt und eines Tages an seinen Sohn übergeben will, war klar: Eine langfristige Lösung muss her.
Eine Untertunnelung, wie sie ein Betrieb in Kirchberg SG bereits realisiert hat, erschien ihm als ideale Lösung. Mit der anstehenden Strassensanierung bot sich eine einmalige Gelegenheit, sagt Stadler. «Ich habe dann ziemlich schnell Kontakt mit der Stadt aufgenommen.»
Sieben Jahre Vorbereitungszeit
Der Tunnel, der erste seiner Art in Wil, ist das Ergebnis einer siebenjährigen Planungsphase. Die Planung wurde vor allem durch Einsprachen gegen die Strassensanierung verzögert, gegen den Kuhtunnel gab es laut Stadler keine Einsprachen.
Nach acht Wochen Bauzeit konnte der Tunnel in Betrieb genommen werden. Die Kühe haben die Unterführung bereits durchquert, auch wenn sie anfangs etwas Zeit brauchten, um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen, erklärt Stadler.
Sechsstelliger Betrag aus eigener Tasche
Für den Bau des Kuhtunnels in der Landwirtschaftszone benötigte Zeno Stadler eine Sonderbewilligung der Stadt Wil. Die zuständige Stadträtin Ursula Egli erklärt: «Das Gesetz verlangt, dass wir mit dem Eigentümer eine Konzession abschliessen. In diesem Vertrag sind die Rechte und Pflichten genau geregelt.»
Konkret hält der Vertrag fest, dass der Tunnel Eigentum von Zeno Stadler bleibt und er somit auch für den Unterhalt verantwortlich ist. Die Konzession gilt für 25 Jahre, in denen Stadler oder sein Nachfolger die Kühe durch den Tunnel treiben darf.
Auch wenn es sich um eine ungewöhnliche Lösung handelt, verstehen wir die Herausforderungen für die Landwirte in unserer Region
Stadler habe die gesamten Baukosten selbst getragen. Er habe einen sechsstelligen Betrag aus eigener Tasche investiert, weil sich die Stadt Wil nicht an den Kosten beteiligt habe, so Stadler.
Zunahme des Verkehrs als grosses Problem
Stadträtin Ursula Egli, die selbst eine Bäuerin ist, zeigt Verständnis für das aussergewöhnliche Projekt. «Auch wenn es sich um eine ungewöhnliche Lösung handelt, verstehen wir die Herausforderungen für die Landwirte in unserer Region», sagt Egli. Die Geduld der Autofahrer werde oft auf eine harte Probe gestellt, wenn Kühe die Fahrbahn blockieren.
Auch der St. Galler Bauernverband zeigt Verständnis für das Projekt. Für Betriebe in Stadtnähe und an stark befahrenen Strassen sei der zunehmende Verkehr ein grosses Problem, sagt Muriel Kofler vom Verband. «Es ist aber nicht klar, ob es für andere Betriebe, die viel Weideland haben und eine stark befahrene Strasse überqueren müssen, die richtige Lösung ist.»
Dass der zunehmende Verkehr auch in anderen Kantonen ein Problem für die Bauern darstellt, zeigt der Besuch von Luzerner Bauern bei Stadler. Auch sie wollten einen solchen Tunnel bauen. Stadler ist überzeugt, dass viele Betriebe nach einer Lösung suchen – oft fehle aber das Geld oder die rechtliche Grundlage.