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Unterschiedliche Aussagen Der Bundesrat, ein dysfunktionales Gremium?

Vor sechs Wochen hat Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen. Doch der Bundesrat spricht noch immer nicht mit einer Stimme. Es bleibt der Eindruck einer Landesregierung, die nicht harmoniert und konzeptlos unterwegs ist. Neustes Beispiel: die Beurteilung der Gräueltaten in Butscha.

Das Aussendepartement sprach anfänglich von schweren Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht. Als die Kritik an dieser Formulierung laut wurde, verschärfte Bundespräsident Ignazio Cassis das Wording und sprach nun von «krassen Verletzungen» des humanitären Völkerrechts. Im Unterschied zu ausländischen Politikern bezeichnet er die Gräueltaten aber noch immer nicht als Kriegsverbrechen, sondern als «mutmassliche» Kriegsverbrechen, weil das kein politischer, sondern ein rechtlicher Begriff sei.

Keller-Sutter setzt Cassis unter Zugzwang

Doch jetzt meldet sich auch seine Bundesratskollegin Karin Keller-Sutter zu Wort und spricht ihrerseits von «klaren Hinweisen auf Kriegsverbrechen». Man staunt über die unterschiedliche Wortwahl und man fragt sich, ob hier die Politikerin Karin Keller-Sutter ihrem eher formalistischen Parteikollegen Ignazio Cassis vormachen will, wie man es machen soll.

Die Rivalität zwischen den beiden zeigte sich auch zu Beginn des Krieges. Der Bundesrat lehnte eine Übernahme der EU-Sanktionen ab. Die Erste, die unter dem wachsenden Druck einen Kurswechsel öffentlich signalisierte, war Keller-Sutter. Unter Zugzwang sagte dann auch Cassis im Westschweizer Fernsehen mehr oder weniger das Gleiche.

Cassis ist noch in ein weiteres Scharmützel involviert: Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga kam letzte Woche mit einem Antrag in den Bundesrat, weil Kanada Kriegsmaterial von Grossbritannien über die Schweiz nach Italien fliegen wollte. Solche Überflüge sind neutralitätspolitisch heikel. Doch intervenierte Cassis bei Kanada, ohne Bundesrätin Sommaruga zu informieren. Das Land zog den Antrag zurück, bevor sich der Bundesrat damit beschäftigte. Was wollte Cassis mit dieser Aktion? Wollte er die SVP zufrieden stellen, weil sie über seinen Auftritt auf dem Bundesplatz an der Ukraine-Demonstration erbost war?

Maurer irritiert mit Lob für Aussenminister

Aber auch die beiden SVP-Magistraten spielen ihre je eigene Rolle. Bei Ueli Maurer bleibt eine Aussage am ersten Tag der russischen Invasion in Erinnerung, als er Wladimir Putin einen strategischen Kopf nannte – «mit einem der besten Aussenminister, der auch strategisch mitdenkt».

Finanzminister Maurer musste sich für diese Aussage nie rechtfertigen; man stelle sich vor, Bundespräsident Cassis hätte so etwas gesagt. Und bei Guy Parmelin fragen sich viele, wie hartnäckig sein Wirtschaftsdepartement die Umsetzung der Sanktionen verfolgt.

Diese Beispiele geben kein vollständiges Bild wieder, sie stehen aber wohl exemplarisch für das bundesrätliche Wirken während der Ukraine-Krise. Was ist zu tun? FDP-Präsident Thierry Burkart fordert, dass der Bundesrat nicht mehr bloss die EU-Sanktionen abwartet, sondern dass sich die Schweiz aktiv auf internationaler Ebene einbringt.

Ein interessanter Vorschlag. Voraussetzung wäre aber, dass der Bundesrat weiss, was er will, dass die sieben das Gleiche wollen und sich auch gegenseitig vertrauen. Doch scheint es damit nicht weit her zu sein. So bleibt die Frage: Ist der Bundesrat ein dysfunktionales Gremium?

Oliver Washington

Bundeshausredaktor

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Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, von 2014 bis 2019 berichtete er als EU-Korrespondent aus Brüssel. Nun ist er in der Bundeshausredaktion von SRF tätig. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

Tagesschau, 05.04.2022, 12:45 Uhr

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