Anne-Marie Dubler verschwindet beinahe hinter dem riesigen Arbeitstisch in ihrem Haus in Bern. Zierlich, schwarze Haare, feingliedrig ist die 80-jährige Historikerin. Sie kennt sich aus mit dem alten Staat Bern und der Pest. Die Pest war tödlich. Frass Familien auf.
Dubler nennt ein Beispiel: «Ein Ratsherr ist an der Pest gestorben, und von seinen dreizehn Kindern starben sechs mit ihm.» Im alten Bern, welches damals von Brugg bis an den Genfersee reichte, starben in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über 100'000 Menschen. Geschätzt.
Die Toten wurden in Tüchern gehüllt auf Sargtruhen gelegt, deren Boden sich öffnen liess und dann in die Gruben fallen gelassen.
Kein Vergleich zu heute. Und wie jetzt, reagierte der Staat auf die Krise mit Notstandsmassnahmen, sagt die Historikerin.
Spitäler als Übertragungsherde
Die vielen Toten mussten weg. «Zu den ersten Massnahmen gehörte das eilige Vergraben der Toten in Gruben ausserhalb der Stadtmauern.»
In Bern lag der Pest-Friedhof in der Äusseren Enge. Dort hoben Totengräber Gruben aus. «Die Toten wurden in Tüchern gehüllt auf Sargtruhen gelegt, deren Boden sich öffnen liess und dann in die Gruben fallen gelassen.» Immer sechs pro Grube.
Doch auch bei den Lebenden handelte der Staat. Spitäler seien entstanden, und wurden mit Kranken, Armen – Männern, Frauen, Kindern und Greisen – gefüllt. Als Orte der Heilung und Notunterkunft gedacht, waren sie aber ebenso Übertragungsherde für Krankheiten. Ohne, dass man das wusste.
Tödliche Patientenbesuche
Doch einer habe 1565 womöglich geahnt, dass von den Spitälern Ansteckungsgefahr ausging. Der Berner Stadtarzt wollte sich weigern, diese überfüllten Spitäler zu besuchen. «Aber er wurde gezwungen», schildert Dubler. Dieser Stadtarzt hiess Thomas Schöpf. Er sei so etwas wie der Kantonsarzt von heute gewesen.
Ihm sei die Bewältigung der Pest im damaligen Staat Bern von den Ratsherren übertragen worden. Organisatorisch – aber auch am Patienten: «Man hat ihn gezwungen, während sieben Tagen – Tag und Nacht – auf Abruf bereitzustehen. Egal ob für das Spital oder Kranke daheim. Das war happig.» Und ansteckend, sagt die Historikerin.
Tatsächlich starb jener Berner Stadtarzt später an der Pest. Die Pestwellen kamen von Norden über Basel, von Westen via Genf, von Süden von Mailand her nach Bern. Über die Handelsrouten. Mit der Einfuhr von Gütern kamen auch Krankheiten. Das habe man bereits damals erkannt.
Aus Luzern etwa wurden damals Vieh und Käse nach Mailand transportiert. Aus der Metropole im Süden wurden Beobachter über die Alpen geschickt. «Sobald sie eine infektiöse Krankheit sahen, meldeten sie das nach Mailand – und die Ausfuhr der Güter wurde gestoppt», so Dubler.
Parallelen zu heutiger Krisenbewältigung
Die Städte entwickelten Pestreglemente. Mailand arbeitete mit Bern oder Zürich zusammen. Im 17. Jahrhundert mussten sich Händler mit Passzetteln ausweisen. Jene, die aus Pest-Städten kamen, wurden zurückgehalten.
Staaten und Städte wie Bern reagierten vor 450 Jahren in ihrer Pest-Not also bereits ansatzweise so, wie wir das in der Coronakrise kennen: Kranke werden isoliert. Der Personen- und Warenverkehr wird überwacht. Das half, die Pest zurückzudrängen. 1670 tobte sich die letzte Welle in der Eidgenossenschaft aus. Ausgestorben ist die Pest jedoch nicht.