Die Uhr bei der Auktion in Zürich tickt und der Rekord von «ZG 10» wankt: Wenn die Versteigerung von «ZH 100» am Mittwochabend endet, könnte es zum teuersten Nummernschild der Schweiz werden.
Darüber, wer den Zuschlag erhält, lässt sich nur spekulieren. Eine passionierte Sammlerin, ein wohlhabender Unternehmer, eine Influencerin, die ihr Social-Media-Profil mit dem illustren Nummernschild schmücken will? Womöglich wird es die Öffentlichkeit nie erfahren. Und doch stellt sich eine Frage: Wie kommt man dazu, Hunderttausende Franken für ein Stück Blech auszugeben?
Auch Johannes Ullrich, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich, kann nur mutmassen, was für ein Käuferkreis sich für «ZH 100» interessiert. «Vielleicht sind es ja auch Wohltäter mit ehrenwerten Motiven, die dem Kanton Zürich einen schönen Batzen zukommen lassen wollen.»
Spagat zwischen sozialen Bedürfnissen
Doch der Kauf kann auch ein allzu menschliches Bedürfnis erfüllen. «Wir wollen dazugehören und so sein wie andere, um in der Gruppe akzeptiert zu werden», führt der Sozialpsychologe aus. «Gleichzeitig wollen wir uns auch abgrenzen und etwas Besonderes sein. Diesen Spagat vollführen wir tagtäglich.»
Bei der Suche nach dem Besonderen dürfte so mancher Blick auf «ZH 100» fallen. Auch wenn den meisten das nötige Kleingeld für den Zuschlag fehlt.
Ein besonderes Stück ist das Kennzeichen allemal. «Am Ende kann es nur eine Person haben», sagt Ullrich. «Damit ist man das Thema – allein schon, wenn man aus dem Auto aussteigt, wird man angesprochen.»
Wir werden immer wieder an unsere Sterblichkeit erinnert. Solche Dinge helfen uns, das Gefühl zuzuschütten, dass wir einmal nicht mehr da sein werden.
Die Meinungen mögen geteilt sein, ob sich der Besitz eines aufsehenerregenden Nummernschilds lohnt. Aus Sicht des Sozialpsychologen gibt es aber eine Ebene, die weit über den praktischen Nutzen hinausgeht: Bei Interessenten könnte der Wunsch mitschwingen, sich zu verewigen. Buchstäblich.
«Studien zeigen: Menschen können dazu gebracht werden, sich zu wünschen, einen Stern in einer Galaxie zu besitzen», erklärt Ullrich. «Wir werden immer wieder an unsere Sterblichkeit erinnert. Solche Dinge helfen uns, das furchtbare Gefühl zuzuschütten, dass wir einmal nicht mehr da sein werden.»
Der «NFT» vor der Motorhaube
Der Professor der Universität Zürich zieht einen Vergleich zu den NFTs. Um die «Non Fungible Token» – frei übersetzt «nicht ersetzbare Wertmarken» – ist in den letzten Jahren ein regelrechter Hype ausgebrochen.
«Auch die NFTs sind etwas Einzigartiges. Niemand anderes hat dieses eine Original. Allein das macht das Wertvolle aus, selbst wenn es viele Kopien gibt», sagt Ullrich.
Doch gibt es eine Grenze, ab der die Sehnsucht, etwas Besonderes zu sein, problematisch wird? Droht uns das Fegefeuer der Eitelkeiten? Diese Grenzen würden in unterschiedlichen Gesellschaften, Kulturen und Kontexten ganz anders gezogen, sagt Ullrich. «Am einen Ort wird geächtet, was anderswo gebilligt wird.»
Trotzdem vermutet der Forscher: Mit dem Aufstieg der sozialen Medien hat das Buhlen um Anerkennung ein neues Ausmass erreicht. «Und für Social Media ist so ein Nummernschild natürlich perfekt, wenn man sich damit vor dem Auto ablichten kann.»
Aufmerksamkeit auf Zürichs Strassen ist dem Gewinner der Auktion also sicher. Zumindest, wenn er «ZH 100» nicht einfach in die Vitrine stellt.