689. Das ist die Anzahl der Fragen, die den Stimmberechtigten in der Schweiz seit 1848 an Abstimmungssonntagen gestellt wurde. Zählt man noch alle kantonalen Abstimmungen dazu, ist die Zahl noch gut zehnmal höher.
Das ist einsamer Weltrekord. Auf den nächsten Plätzen liegen laut den neuen Auswertungen des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) Neuseeland und das kleine Fürstentum Liechtenstein, beide mit gut 100 Abstimmungsfragen auf nationaler Ebene.
Volksabstimmungen erobern die Welt
Betrachtet man die Entwicklung über eine längere Zeit, seit Anfang des letzten Jahrhunderts, hat die Schweiz in Sachen Volksabstimmungen immer mehr Gesellschaft bekommen in der Staatenwelt.
Die Studienmacherinnen und -macher des Aarauer Demokratiezentrums schreiben, dass heute mehr als 70 Prozent der Staaten schon einmal eine Volksabstimmung auf nationaler Ebene haben durchführen lassen. Und abgestimmt wird nicht nur in Westeuropa oder Nordamerika, sondern auch in Staaten Afrikas oder Südamerikas.
Volksabstimmungen nicht nur in Demokratien
Robin Gut, Politikwissenschaftler an der Uni Zürich und Co-Autor der Studie, hat für diese wachsende Popularität von Volksabstimmungen auf der ganzen Welt eine Erklärung: «Ich vermute, die Mächtigen weltweit haben vermehrt das Bedürfnis, das Volk einzubeziehen. Man will zeigen, dass man auf das Volk hört.» Was in dieser Aussage schon anklingt: Eine Volksabstimmung muss nicht sozusagen von «unten» angestossen werden.
Oft ist es nicht das Volk, das – wie in der Schweiz – mit einer Initiative oder einem Referendum eine Abstimmung herbeiführt. Vielmehr gibt es auch in autoritären Staaten Volksabstimmungen, die das Regime ansetzt, um so seine Macht legitimieren zu lassen. «Unsere Daten zeigen, dass sogar mehr Autokratien Volksabstimmungen durchführen, als das demokratische Staaten tun», so Gut – eine Tatsache, die auch sie als Studienmacher überrascht habe.
Breite Themenpalette in der Schweiz
Darum greift es auch zu kurz, die Abstimmungen rund um den Globus lediglich zu zählen. Die Politikwissenschaftler und Juristinnen haben die Volksabstimmungs-Datenbank, die verschiedene Schweizer Unis seit 1994 führen, deshalb noch nach anderen Kriterien durchforstet. Sie haben ausgewertet, zu welchen Themen denn das Volk befragt wird. Hier zeigen sich sehr spannende Unterschiede.
«In der Schweiz haben sie eine Fülle von Themen, über die abgestimmt wird: Vom Covid-Gesetz über Steuervorlagen bis zum Klimaschutz. Im Ausland ist dieses Themenspektrum viel schmaler», so Politikwissenschaftler Gut. Dort wird mit Abstand am häufigsten über Fragen der Staatsorganisation abgestimmt – dabei kann es um die Grösse des Parlaments gehen oder wie lange die Amtszeit des Staatsoberhaupts dauern soll.
Die Schweiz ist also bei weitem nicht allein auf der Welt, wenn es um Volksabstimmungen geht. Bei der Häufigkeit und auch in Sachen Themenvielfalt nimmt sie aber den Spitzenplatz ein – zusammen mit dem kleinen Nachbarn Fürstentum Liechtenstein.