Würde man hundert Schweizerinnen und Schweizer fragen, was für sie ein traditionelles hiesiges Haus ist, dann wäre folgende Antwort bestimmt darunter: ein Chalet. Rustikal und reich verziert. Ein typisches Stück Schweiz. So wie Schoggi, Uhren und das Bankgeheimnis.
Näher betrachtet stimmt das allerdings nur bedingt. Dies zeigt aktuell eine Ausstellung im Gletschergarten Luzern. Seit der Eröffnung der Anlage im Jahr 1873 bilden Chalet-ähnliche Bauten einen wichtigen Teil der touristischen Gesamtinszenierung des Gletschergartens.
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Bild 1 von 6. Das Kassenhaus des Gletschergartens Luzern gehört zur alpinen Kulisse der Anlage. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern.
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Bild 2 von 6. Das prominenteste Gebäude ist das denkmalgeschützte Schweizerhaus. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern.
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Bild 3 von 6. Die Laubsägeli-Architektur macht das Schweizerhaus zu einer Besonderheit. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern.
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Bild 4 von 6. In der Sonderausstellung «Chalet: Vom Mythos zur modernen Baukultur» zeigt der Gletschergarten Luzern aktuell die Geschichte des Chalets auf. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern/Heinz Dahinden.
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Bild 5 von 6. Bauernhäuser dienten als Vorbilder der heutigen Chalets – vor allem Bauten aus dem Berner Oberland und aus dem Waadtland. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern/Heinz Dahinden.
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Bild 6 von 6. Die Ausstellung thematisiert auch das Politikum der Zweitwohnungen. Bildquelle: zvg/Gletschergarten Luzern/Heinz Dahinden.
Nur einen Katzensprung entfernt sind weitere Chalets zu sichten, mitten im Stadtgebiet. Eines davon: das Chalet Elisabeth von 1869. Ein Holzbau auf einem massiven Sockel, Laubsägeli-Verzierungen, drei Stockwerke hoch.
Ein Hauch Bergidyll mitten in urbanen Gefilden? Stephan Steger winkt ab. «Typischerweise wurde ein Chalet als Blockbau erstellt», also mehrheitlich aus Holz. «1869 wurde dies allerdings schon recht frei interpretiert.»
Steger ist Kunsthistoriker und arbeitet bei der Denkmalpflege des Kantons Luzern. Auf Quartierrundgängen lädt er derzeit zur Entdeckung von Chalets ein.
Romantiker verbreiten Chalet-Idee in ganz Europa
Die Anfänge des Chalets reichen ins 18. Jahrhundert zurück. Es sei die Materialisierung eines Sehnsuchtsorts, ein Stück heile Welt.
Damals schwärmten romantische Dichtungen von der Schönheit der hiesigen Berge und lösten einen regelrechten Boom aus: Reisende aus ganz Europa besuchten die Schweizer Alpen. Zurück in ihrer Heimat bauten sie die Häuser nach.
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Bild 1 von 3. Stephan Steger vor dem Chalet Mimi: In den 1890er-Jahren befand sich darin das Fremdenverkehrsbüro der Stadt Luzern, später wurde das Gebäude versetzt. Bildquelle: SRF/Nik Rigert.
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Bild 2 von 3. Im Stadtluzerner Wesemlin-Quartier steht das denkmalgeschützte Chalet Muheim, erbaut im Jahr 1896. Bildquelle: SRF/Nik Rigert.
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Bild 3 von 3. Der Rundgang von Kunsthistoriker Stephan Steger führt auch am Chalet Elisabeth vorbei, erbaut 1869. Bildquelle: SRF/Nik Rigert.
«Ein eigentliches Urchalet existiert allerdings nicht», sagt Stephan Steger. Ursprünglich sei das Chalet bloss ein einfacher Unterstand auf der Alp gewesen. Später dienten vor allem Bauernhäuser aus dem Berner Oberland und aus dem Waadtland als Vorbilder.
Das Chalet ist das erste Fertighaus in der Geschichte.
Immer aber war es ein Holzbau, der sich bestens für die serielle Produktion eignete. «Das Chalet ist damit das erste Fertighaus in der Geschichte», sagt Steger. «Man konnte seine Vorstellungen eines Eigenheims auf relativ günstige Art verwirklichen.»
Weltausstellungen kurbeln Produktion an
Das Chalet als Massenprodukt: Weltausstellungen waren ein grosser Multiplikator dafür. «Um 1900 wurde in Paris eine ganze Alp-Szenerie inszeniert», so Steger. Vor Ort gab es Kataloge, die seriell hergestellte Chalets bewarben. Ausgeführt vor allem von grossen französischen Firmen. «Aber auch in der Schweiz gab es auf dem Höhepunkt 24 verschiedene Chalet-Fabriken, die nicht nur den einheimischen Markt bedient haben.»
Das Chalet in der Schweiz ist ein Reimport.
Die Idee der Chalet-Architektur wurde also zunächst im Ausland aufgenommen, interpretiert und in die Massenproduktion überführt. Erst danach sei das Chalet in die Schweiz zurückgekehrt.
«Das Chalet in der Schweiz ist ein Reimport», sagt Kunsthistoriker Stephan Steger. Um 1900 schossen sie auch hier aus dem Boden. Längst nicht nur in den Bergen. «Gerade in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wuchsen die Städte stark. Chalets wurden zu einem willkommenen Rückzugsort.» Und dies auch mitten in Luzern.