Auf dem Land gehörte ein Storchennest auf dem Kirchendach früher zum Ortsbild. Die Stadt hat der Vogel mit bis zu zwei Metern Flügelspannweite aber erst in den letzten Jahren für sich entdeckt.
In Basel gefalle es den Störchen immer besser, erzählt Markus Bracher, seit 21 Jahren Vogel-Tierpfleger im Zoologischen Garten: «Vor zehn Jahren waren es 31 Küken, vor vier Jahren 40, und dieses Jahr schreiben wir mit 86 einen Rekord.»
Die Störche im Zoo Basel sind freie Wildvögel. Sie fliegen ab März ein, belegen ihre Horste und suchen ihr Futter in der Umgebung. In der Schweiz brüten Störche nördlich der Alpen, zwischen Neuenburgersee und Bodensee.
Der Weissstorch ist generell ein Kulturfolger und nicht sehr menschenscheu.
Für den Bruterfolg spielt der Ort eine wichtige Rolle. Da bieten Städte gewisse Vorteile. Für den Biologen Livio Rey von der Vogelwarte Sempach ist das keine Überraschung. Der Weissstorch sei generell ein Kulturfolger und nicht sehr menschenscheu. Bei Mäusen, Insekten und anderen Kleintieren fühle er sich wohl.
Jetzt machen sich die meisten Störche schon bald wieder auf den Weg in den Süden. Weil sich die Stadt-Störche im Sommer hier aber wohlfühlen, bleiben einige von ihnen gleich auch im Winter. In den Städten ist es meist ein paar Grad wärmer als in der Umgebung, also seltener verschneit und gefroren.
Kraft sparen in städtischer Infrastruktur
Störche hätten sich zum Teil den Veränderungen ihrer Umgebung angepasst, erklärt Rey. Ende des 20. Jahrhunderts seien die ersten Störche zum Überwintern statt nach Afrika nur noch nach Spanien geflogen, heute hätten manche das Zugvogeldasein ganz aufgegeben: «Ein Vogel, der nicht mehr ziehen muss, kann Kräfte sparen. So bleiben immer mehr Störche auch im Winter in der Schweiz.»
Auch das Gerangel um den Nistplatz bei der Rückkehr entfällt.
Tierpfleger Markus Bracher weist zudem auf das «Winter-Wellnessprogramm» des Basler Zoos hin: «Wenn sie kalt haben, stehen sie manchmal bei uns ins Wasser. Kranke Tiere werden behandelt, gefüttert und wieder freigelassen.» Aber auch das Gerangel um den Nistplatz bei der Rückkehr falle weg. «Mein Horst ist mein Horst und ich bin jetzt da. Da braucht es keine Diskussionen mehr», bringt es Bracher auf den Punkt.
Zahl der «Hierbleiber» steigt
Es geht aber auch gut ohne diesen Luxus. Laut der Organisation Storch Schweiz überwintern heute rund 650 Störche im tiefer gelegenen Mittelland zwischen Genf und Kreuzlingen. Die «Hierbleiber» machen damit bereits ein Drittel der Schweizer Population von rund 900 Storchenpaaren aus, die in der Schweiz brüten und im Schnitt zwei Jungvögel aufziehen.
Der Weissstorch kann sein angeborenes Zugverhalten anpassen und neu lernen, wenn er mit anderen Störchen unterwegs ist.
Weissstörche seien lernfähig, ergänzt Biologe Rey und verweist auf Experimente mit Jungvögeln. So passe der Weissstorch sein angeborenes Zugverhalten an und lerne es neu, wenn er mit anderen Störchen unterwegs sei.
Bedingungen bestimmen die weitere Entwicklung
Nicht mehr nach Afrika zu fliegen, könnte mittelfristig für noch mehr Störche zur Normalität werden. Etwa, wenn Zuggenerationen altersbedingt sterben und sich die nächsten Generationen umgewöhnen. Das bringt aber nur Vorteile bei warmen Wintern in der Schweiz. Bei grosser Kälte und viel Schnee haben die Rückkehrer im Frühling die besseren Karten.
Darum ist für den Biologen offen, wie es mit den Störchen im Winter weitergeht: «Es ist durchaus denkbar, dass der Storch komplett zum Standvogel wird, wenn die Bedingungen stimmen. Bei neuen Bedingungen ist sehr gut möglich, dass er wieder zum gewohnten Zugverhalten zurückkehrt.»