Auf der Alp oberhalb des Dorfs Vitznau hat Starkregen den Berghang in Bewegung gesetzt. Seit vier Monaten sind im Gebiet Hinterbergen Bagger im Notfalleinsatz, um die Rutschung zu stabilisieren. Ein Ernstfall: Bis zu 400’000 Kubikmeter Erde und Geröll haben sich gelöst. Das ist eine Masse vergleichbar mit dem Volumen des grössten Hochhauses der Schweiz, dem Basler Roche-Turm.
Mit Drainagen und Dämmen soll verhindert werden, dass die Hangmure sich verflüssigt und ins Dorf niedergeht. 20 Personen mussten vorübergehend ihre Höfe verlassen.
350 Jahre ist es her, seit sich im Gebiet Hinterbergen bereits einmal eine gewaltige Schlammlawine gelöst hatte. Sie verschüttete 1674 das damalige Dorf Vitznau. Heute leben in Vitznau 1500 Einwohner. Die Behörden rechnen damit, dass ein massiver Murgang Gebiete in der roten Naturgefahrenzone von Vitznau bis zu zwei Meter hoch zudecken könnte.
«Der Hangrutsch hat aufgezeigt, in welcher Gefahrensituation wir sind. Es ist ein Ereignis aufgetreten, das theoretisch nur alle paar hundert Jahre vorkommt», sagt Vitznaus Gemeindepräsident Herbert Imbach. Doch wäre Vitznau für den Ernstfall gerüstet?
Der einzige Geschiebesammler aus dem Jahr 2006 würde gemäss Einschätzung von Spezialistinnen und Spezialisten höchstens einem 30-jährlichen Ereignis standhalten. Nun droht ein 300-Jährliches. Deshalb handelt nun der Kanton.
Kanton handelt im Notrecht
Viktor Schmidiger leitet die Abteilung Naturgefahren des Kantons Luzern. Er plant, im Notrecht die Kapazität des alten Geschiebesammlers zu verdoppeln und zusätzlich einen zweiten, grösseren Sammler zu erstellen. Geplanter Baubeginn: Frühjahr 2025. Projektierte Kosten für Bund und Kanton: rund 25 Millionen Franken.
Die Zeit eilt. Die Gefahr, dass in Vitznau Personen verletzt würden, legitimiere das Notrecht, begründet Schmidiger.
Bauen trotz drohenden Gefahren
Doch trotz Naturgefahren erlebte Vitznau seit dem Jahr 2000 eine rasante Entwicklung: Die Anzahl der Haushalte stieg um 60 Prozent. Die Wohnlage ist beliebt, exklusiv. Haben die Behörden das Risiko unterschätzt?
Schmidiger sagt: «Wir versuchen jetzt, mit Schutzbauten einen guten Schutz für Vitznau sicherzustellen – aber langfristig geht das nicht.» Er fordert ein Umdenken: «Wir brauchen eine risikobasierte Raumplanung. Das heisst: Räume den Gewässern» – also mehr Platz für die Gewässer. Schmidiger fügt an, mit Schutzbauen alleine sei das nicht zu schaffen. Es sei schlicht zu teuer.
Das bedeutet weniger Gebäude in den Gefahrenzonen.