Vorwurf Terrorfinanzierung - Eltern finanzierten den Sohn – und damit den IS? Durften sie das?
Das eigene Kind, Mitglied einer Terrorgruppe. Und dann wird man als Eltern angeklagt. Darum geht es heute Montag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona.
Autor: Daniel Glaus, Myriam Reinhard, Sibilla Bondolfi
Was wird den Eltern vorgeworfen? Insgesamt sollen sie zwischen 2016 und 2019 über 50’000 Franken transferiert haben, heisst es in der Anklageschrift. Mit dem Geld hätten sie ihrem Sohn das Leben im Gebiet des «Islamischen Staates» ermöglicht. Ein Teil des Geldes sei an andere IS-Mitglieder gegangen. Das verstosse gegen das Gesetz, das IS-Unterstützung unter Strafe stellt.
Was wussten die Eltern? Ihr Sohn habe Fotos und Videos aus Syrien geschickt, teils in Uniform und mit Waffen, oder vor der IS-Flagge posierend, sagt die Bundesanwaltschaft. Sie hätten sich bewusst sein müssen, dass sich ihr Sohn einer Terrororganisation angeschlossen hat. Der Verteidiger der Mutter widerspricht: Sie habe in tiefer Überzeugung gehandelt, dass ihr Sohn «ein Lieber» sei, so Rechtsanwalt Philipp Kunz. Der Verteidiger des Vaters ergänzt, auch er habe keine Terrororganisation unterstützen, sondern seinem Sohn helfen wollen.
Wer sind die angeklagten Eltern?
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Die Mutter: heute 60 Jahre alt, spanisch-schweizerische Doppelbürgerin, katholisch. Der Vater: 60 Jahre alt, Schweizer. Dass sie selbst IS-Sympathisanten wären, das wirft ihnen die Bundesanwaltschaft nicht vor. Auch die Verteidigung betont, von radikalem islamistischem Gedankengut seien sie weit entfernt. Mehrere Gespräche von SRF mit den Eltern haben diesen Eindruck bestätigt. Dass ihr Sohn zum Islam konvertierte, war für die Eltern offensichtlich der erste Schock – dass er sich radikalisierte und zum IS reiste ein weiterer.
Dass ihr Sohn sie vor bald zehn Jahren verlassen hat und sie jetzt mit einem Strafverfahren der Bundesanwaltschaft konfrontiert sind, belastet die Eltern schwer, sie scheinen psychisch angeschlagen zu sein. Zudem sind sie sozial isoliert, weil ihr ganzes Umfeld die Geschichte des Sohns kennt. Und mit den Zahlungen haben sie sich finanziell schwer belastet: Die Mutter hat ihr Haus in der alten Heimat Spanien verkauft sowie eine bescheidene Lebensversicherung aufgelöst, um das Geld dem Sohn beim IS zu schicken.
Wofür brauchte der Sohn das Geld? Zuerst ist es gemäss dem Verteidiger der Mutter um Lebenshaltungskosten gegangen. In der Anklageschrift steht hingegen: Daniel D. habe seinen Eltern mitgeteilt, im IS werde für alles gesorgt. Ihnen sei dies bekannt gewesen. Mit den Geldüberweisungen an den Sohn und an weitere IS-Mitglieder hätten sie mitgeholfen, dass die jungen Männer weiterhin für den IS aktiv sein konnten. In einer zweiten Phase, als der IS von kurdischen Truppen militärisch zurückgedrängt wurde, geriet der Sohn in Gefangenschaft. Er kam in ein Gefängnis, Frau und Kind wurden in Camps interniert. Da sei es darum gegangen, ihnen eine Flucht zu ermöglichen, sagt die Verteidigung. Das hat nicht geklappt, Daniel D. ist noch heute in einem Gefängnis in Nordosten Syriens. Der Verbleib seiner Frau und des Kindes ist offen.
Wie haben die Eltern das Geld geschickt? Gemäss Anklageschrift setzten sie nach Anweisungen ihres Sohns zuerst auf internationale Geld-Transferbüros und schickten Beträge an Personen in der Türkei oder in den Libanon, die es offenbar nach Syrien weiterleiteten. Weil die Zahlungen nicht mehr bewilligt wurden, spannte die Mutter Nachbarinnen ein, die in deren Namen Gelder überwiesen. Später gab es Bargeld-Übergaben in der Schweiz: an zwei Botinnen am Bahnhof Payerne oder an einen Syrer aus Lausanne. Diese nutzten für die Weiterleitung wohl das Hawala-System. Den grössten Betrag, rund 37’000 Franken, übergaben sie in bar an zwei aus Berlin nach Genf gereiste Geldboten.
Das Hawala-System kurz erklärt
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Gesetze zur Unterbindung von Geldwäscherei und der Finanzierung von Terrororganisationen gibt es in fast allen Ländern der Welt. Trotzdem schafft es der IS, sein Geld zu verschieben, ohne entdeckt zu werden.
Denn der IS und seine Financiers verwenden für Geldüberweisungen das sogenannte Hawala-System. Ein Vertrauensmann – zum Beispiel in Kuwait City – weist seinen Vertrauensmann in der IS-Hochburg Rakka an, eine bestimmte Summe an eine Person auszuhändigen, die ein Codewort nennt. Mit diesem System können Geldüberweisungen in wenigen Stunden erledigt werden.
Die Geldüberweisung hinterlässt keine elektronischen Spuren, was das Aufspüren der Geldströme praktisch verunmöglicht. Physisch wird das Geld zu einem späteren Zeitpunkt per Kurier überbracht, um die Schuld zu decken.
Weshalb ist der Prozess wichtig? «Die zentrale Frage ist, ob Eltern sich strafbar machen, wenn sie ihr Kind – das für den IS kämpft – finanziell unterstützen», sagt Strafrechtsprofessor Wolfgang Wohlers von der Universität Basel. Weder der Gesetzgeber noch die Lehre hätten an dieses Szenario gedacht, der Prozess sei deshalb Neuland. «Bei der Schaffung der Strafnorm hat man an Personen gedacht, die Gelder für Terrorgruppen sammeln oder an Personen, die deren Vermögenswerte verwalten.» Weiter stellt sich die Frage, ob nachgewiesen ist, dass sich die Eltern bewusst waren, dass die Gelder an eine Terrororganisation fliessen könnten. Und ob die wahrgenommene Notlage eine triftige Entschuldigung ist. Die Bundesanwaltschaft hat mit den Genfer Eltern erstmals Verwandte von Dschihad-Reisenden angeklagt, weitere Strafverfahren laufen. Bei einem Schuldspruch drohen nach Gesetz bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.
Daniel D.: «Der gefährlichste Schweizer Dschihadist»
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Heute 29 Jahre alt gehört Daniel D. zu den berüchtigtsten Fällen Schweizer IS-Anhänger, in Presseberichten ist die Rede vom «gefährlichsten Schweizer Dschihadisten». Der Genfer soll gemäss Anklageschrift militärische Positionen im IS innegehabt haben, gemäss SRF-Recherchen wurde er zum Scharfschützen ausgebildet, soll in eine IS-Brigade potenzieller Attentäter eingeteilt worden und an Anschlagsplanungen auch in der Schweiz beteiligt gewesen sein. Dies bestritt er in Interviews, die SRF mit ihm Gefängnis in Nordsyrien führte.
Daniel D. hatte sich als Teenager für den Islam zu interessieren begonnen, konvertierte, und verkehrte in der Grossen Moschee in Genf, wo sich um 2014 eine Jugendgruppe bildete, geleitet von radikalen Predigern aus Frankreich. Aus diesem Kreis sind mehrere junge Männer in den sogenannten Heiligen Krieg, Dschihad, gezogen. Daniel D. reiste 2015 nach Syrien. 2019 wurde er von kurdischen Truppen gefasst, seither sitzt in Gefängnissen in Nordsyrien. Der Bundesrat lehnt eine aktive Rückführung erwachsener Schweizer Gefangener ab.
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Video
Archiv: Interview mit dem gefährlichsten Schweizer Dschihadisten
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