Deutschland und andere europäische Staaten liefern Panzer, Munition oder Artilleriegeschütze an die Ukraine. Und die Schweiz? Als neutraler Staat liefert sie weder direkt noch indirekt Waffen an Kriegsparteien. Denn auch Staaten, die Schweizer Waffen gekauft haben, dürfen diese nicht weitergeben, ohne dass die Schweiz die Erlaubnis dazu erteilt hat – bis jetzt.
Erst im Oktober 2021 hat das Parlament eine Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes beschlossen. Doch nun hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates zwei Vorstösse angenommen, die Lockerungen vorsehen.
Dass andere Länder Schweizer Kriegsmaterial ausnahmsweise an die Ukraine weitergeben dürfen sollen, ist für Evelyne Schmid, Juristin und Völkerrechtsexpertin «nicht haltbar». Gemäss Neutralitätsrecht dürfe ein neutraler Staat zwar Kriegsmaterial exportieren, müsse aber alle Kriegsparteien gleich behandeln. «Die parlamentarische Initiative will explizit eine der Kriegsparteien bevorzugen, das steht meines Erachtens im Widerspruch zum Kern des Neutralitätsrechts.»
Gleicher Ansicht ist auch der Präsident der Sicherheitskommission des Nationalrats (SiK-N), SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Er war gegen beide Vorstösse: «Diese Änderung ist für mich in keinster Weise kompatibel mit der Neutralität.» Auch der völkerrechtswidrige Einmarsch Russlands in die Ukraine rechtfertige die Anpassung nicht. «Man muss aufpassen, wenn man solche Gesetze im Schnellverlauf ändern will. Plötzlich wird man Kriegspartei, das ist gefährlich.»
Grösserer Ermessensspielraum für den Bundesrat
Etwas besser sieht die Situation neutralitätsrechtlich beim zweiten Vorstoss aus. Gemäss Neutralitätsrecht darf ein neutraler Staat zwar Kriegsmaterial exportieren, muss aber alle Kriegsparteien gleich behandeln. Diese Regel stammt aus dem Haager Abkommen.
Stehen andere aussenpolitische Interessen im Vordergrund, kann der Bundesrat auf das Wiederausfuhr-Verbot bestehen
Dieser Vorstoss gesteht dem Bundesrat diese Möglichkeit zu. «Die Motion lässt dem Bundesrat grossen Ermessensspielraum», sagt SP-Nationalrätin Franziska Roth. Man zeige aussenstehenden Ländern so, dass die Schweiz bereit sei, ihren Beitrag zu leisten. Das stärke die Kooperation. Gleichzeitig habe der Bundesrat die Wahl: «Stehen andere aussenpolitische Interessen im Vordergrund, kann der Bundesrat auf das Wiederausfuhr-Verbot bestehen», sagt Roth.
Dass der Bundesrat so bezüglich Neutralität in die Bredouille kommen könnte, indem er einem Land eine Waffenausfuhr bewilligt und einem anderen Land jedoch nicht, glaubt Roth nicht. «Das Haager Abkommen spricht nur von Gleichbehandlung bei direkten Waffenlieferungen an kriegsführende Parteien. Wir haben uns selbst ein enges Korsett geschnürt, indem wir sagen, dass wir nicht möchten, dass unser Kriegsmaterial weitergereicht wird.»
Ich bin froh, dass es Bewegung gibt in dieser Frage. Wir brauchen Lösungen.
Die Lex Ukraine dürfte wegen Bedenken der FDP-Spitze durchfallen. Die Chancen des zweiten Vorschlags stehen besser. Dort ist wohl die grosse Frage, wie sich der Ständerat positioniert. FDP-Ständerat Thierry Burkart ist jedenfalls «froh, dass es Bewegung gibt in dieser Frage. Wir brauchen eine Lösung!» Und diese soll wohl eher nicht Lex Ukraine heissen.
«Einerseits steht sie im Widerspruch zum Neutralitätsrecht, andererseits müssen für allfällige ähnliche Situation in der Zukunft generelle Lösungen her.» Ob diese Lösung aber Vorschlag Nummer zwei sein wird, das sei noch offen. Das könne zwar ein Weg sein, allerdings müsse man das noch genauer analysieren.