Der Saal in der Casa del Popolo in Bellinzona ist bis auf den letzten Platz besetzt. Im Vorraum wird ein Apéro bereitgestellt, am Podium tritt eine geeinte Linke auf. Applaus brandet durch den Saal.
Greta Gysin ist 36 Jahre alt, Gewerkschafterin und Spitzenfrau der Tessiner Grünen. Die Ärztin Marina Carobbio sitzt seit 2007 für die SP im Nationalrat. «Seit Jahren arbeite ich in Bundesbern mit den Grünen zusammen», sagt Carobbio. Sie sei Vizepräsidentin der Alpeninitiative, habe viele politische Kämpfe Seite an Seite mit den Grünen geführt.
Carobbio und Gysin spielen sich die Bälle zu, bestärken sich gegenseitig. «Am Ende zählen die Inhalte», sagt Gysin. Die Listenverbindung sei mehr als Wahltaktik. Die gemeinsamen Werte sollten in Bern besser vertreten sein.
Die Gräben von einst überwinden
Das war nicht immer so. Nach den Wahlen 2007 kündigten die Tessiner Grünen die Listenverbindung mit der SP – wegen persönlicher Animositäten, aber auch wegen politischer Gegensätze. Die Tessiner Grünen unterstützten in der Folge die Masseneinwanderungsinitiative. Inzwischen hat sich der linke Umweltflügel bei den Grünen wieder durchgesetzt.
SP-Staatsrat Manuele Bertoli hat die Polemiken und Beschimpfungen von damals hautnah erlebt. «Wo stehen die Grünen wirklich?» fragt er misstrauisch in den Saal. «Nur mit dem Blick nach vorn gerichtet werden wir einen Wahlsieg feiern können», kontert Gysin und erntet Applaus.
Ohne Listenverbindung auf verlorenem Posten
Wenn nur acht Nationalratssitze zu verteilen sind wie im Tessin, dann sind grosse Parteien und grosse Listen im Vorteil. «Lega und SVP treten mit einer Listenverbindung an, die Linke tut es. CVP und FDP blieb keine Wahl», sagt der Regionalpolitk-Experte Oscar Mazzoleni.
Wenige Stimmen werden entscheiden.
Am CVP-Kongress seien FDP-Kandidaten vorgestellt worden. Das sei noch nie dagewesen, so Mazzoleni. Die Linksliberalen seien unglücklich, auch vom Rechtsfreisinn komme Kritik. CVP und FDP seien aber auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Die Alternative zur Listenverbindung sei eine Wahlniederlage.
Tessiner Wahljahr bringt Novum
«Wenige Stimmen werden entscheiden», sagt Mazzoleni. Die Linke könne auf einen Sitzgewinn hoffen, die SVP und Lega müssten um einen ihrer drei Sitze fürchten, die Mitte könne froh sein, wenn sie wieder mit vier Nationalräten nach Bern ziehen könne.
Die Listenverbindungen sind also das grosse Novum im Tessiner Wahljahr 2019. Und: Eine Listenverbindung kann Nationalratssitze aber auch Bauchschmerzen bringen. Auch das ist eine wichtige Erfahrung im Tessiner Wahlherbst.