In fünf Kantonen gab es am Sonntag einen zweiten Wahlgang für den Ständerat, nun ist das Parlament komplett. Politologe Georg Lutz schätzt die neue Situation in Bundesbern ein.
SRF News: Wie wirken sich die neu geordneten Sitze auf die Kräfteverhältnisse im Parlament aus?
Georg Lutz: Grundsätzlich verändern sich die Mehrheiten nicht, dafür sind die Verschiebungen zu klein. Wichtig ist aber, was es jetzt für Signale über die künftige Positionierung der Parteien gibt. Die SVP ist in vielen Kantonen zwar stärkste Partei, aber trotzdem nicht mehrheitsfähig. Und das hat auch mit ihrer Politik im Parlament zu tun. Wenn sie da mehrheitsfähig werden wollte, dann müsste sie moderater werden.
Die SVP ist in vielen Kantonen zwar stärkste Partei, aber trotzdem nicht mehrheitsfähig.
Es zeigt sich auch ein riesiges Dilemma bei der FDP. Diese hat die SVP offiziell unterstützt, was aber weder der SVP noch der FDP genützt hat. Sie ist jetzt im Ständerat also gegenüber der Mitte eigentlich viel schwächer. Das war vorher noch nie so. Da ist die FDP jetzt gefordert.
Die Mitte wird zur Entscheidungsmacherin der kommenden vier Jahre im Ständerat. Wie wird sie sich bei Leitthemen wie der Europolitik, der Altersvorsorge, der Migration oder auch der Klimakrise positionieren?
Ich denke, für die Mitte hat sich vor allem der Namenswechsel gelohnt. Da steht ja mehr als nur eine neue Etikette dahinter. Die Partei hat gerade auch in den zweiten Wahlgängen gezeigt, dass sie mehrheitsfähiger geworden ist. Besonders in Kantonen, in denen sie früher als CVP eher noch Schwierigkeiten hatte.
Die Mitte hat gezeigt, dass sie mehrheitsfähiger geworden ist.
Für die Mitte, die jetzt in der komfortablen Situation ist, Mehrheiten sowohl im Ständerat, als auch im Nationalrat bestimmen zu können, wird es entscheidend sein, wie geschlossen die Fraktion ist. Sie war bisher eigentlich eine der am wenigsten geschlossenen Fraktionen im Parlament überhaupt. Und die Frage ist auch, wie sie im Ständerat systematisch mit der FDP zusammenarbeiten kann, um die Vormachtstellung, die sie im politischen System im Moment hat, auch nutzen zu können.
Wenn sich die Mitte und die FDP clever anstellen, können sie in beiden Kammern den Ton angeben. Hierfür müsste sich die FDP aber von der SVP abwenden und sich der Mitte annähern. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario?
Da werden wir abwarten müssen. So komfortabel die Position der Mitte ist, so schwierig ist sie für die FDP. Denn die FDP hat eigentlich immer noch kein klares Rezept gefunden, wie sie ihr Verhältnis zur SVP gestalten will. Sie hat gemerkt, dass es Wähleranteile kostet, wenn man zu stark mit der SVP zusammengeht. Umgekehrt ist die Partei auch immer wieder auf die SVP angewiesen, weil es gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik doch auch klare Übereinstimmungen gibt.
Die FDP hat immer noch kein klares Rezept gefunden, wie sie ihr Verhältnis zur SVP gestalten will.
Es wird sich die Frage stellen, ob die FDP in den nächsten drei, vier Jahren einen mehr von der SVP emanzipierten Kurs wählt oder wieder eine grosse Ambivalenz zeigt, was für die Positionierung der Partei eher schädlich ist.
Das Gespräch führte Can Külahcigil.