Die Schokolade, die Alpen und die direkte Demokratie: Auf diese drei Dinge sind Schweizerinnen und Schweizer in der Regel stolz. Zumindest was die direkte Demokratie angeht, zeigt sich der Stolz aber nicht an der Urne: Seit 1979 haben nie mehr als 49 Prozent an nationalen Wahlen in der Schweiz teilgenommen. Ein Rezept gegen die weitverbreitete «Urnen-Müdigkeit» wäre natürlich eine Stimmpflicht – doch die kennt einzig und allein der Kanton Schaffhausen.
Der Kanton Schaffhausen zwingt seine Bürgerinnen und Bürger quasi an die Urne, sonst gibt es eine Busse. Diese beträgt zwar nur sechs Franken pro verpasstem Urnengang.
Bei vier Abstimmungen pro Jahr läppert sich der Betrag über die Jahre jedoch zusammen. Berechnungen von SRF zeigen: Wird im bussenpflichtigen Alter von 18 bis 65 Jahren konsequent jede Abstimmung verpasst, sind es über 1000 Franken.
Stimmbeteiligung ist massiv höher
In Schaffhausen gehen mehr Stimmberechtigte an die Urne als im Rest der Schweiz. Bei den letzten Wahlen 2019 waren es 60 Prozent. Zum Vergleich: Der schweizerische Durchschnitt lag bei lediglich 45.1 Prozent.
Doch was halten die Schaffhauserinnen und Schaffhauser von ihrem Stimmzwang? Raphael Rohner, Bildungsvorstand der Stadt Schaffhausen, ist überzeugt: Der Stimmzwang ist nicht ausschlaggebend für die hohe Beteiligung. «Wir haben eine Gesellschaft, die seit Jahrzehnten sehr engagiert ist, Haltungen entwickelt und diese im politischen Prozess einbringt.»
Die Leute kreuzen irgendetwas an.
Andere widersprechen: Die Leute würden dann halt irgendetwas abstimmen, um der Busse zu entgehen. «Es müsste freiwillig sein», sagt auch eine Frau bei einer Strassenumfrage. Sie würde die Stimmpflicht deshalb abschaffen. Ein Mann hingegen - der selbst auch schon eine Busse bezahlen musste - würde diese erhöhen. «Dann würde die Stimmbeteiligung noch weiter steigen», ist er überzeugt. Die Bevölkerung ist also gespalten.
Tatsächlich ist der Anteil an ungültigen Stimmen und Leerstimmen bei den Schaffhauser Abstimmungen relativ hoch – ein Indiz auf Desinteressierte, die abstimmen gehen, sagt Politologe Markus Freitag. Sie wollten keine Busse kassieren, hätten sich aber mit der Vorlage oder der Wahl nicht gross auseinandergesetzt. «Die Qualität der Entscheidungen wird so gesenkt.» Anstatt mit einem Stimmzwang zu operieren, plädiert er für die Vermittlung von Kompetenzen im Rahmen der Bildung. Das geschehe in der Schweiz zu wenig, kritisiert er. «Es ist ein Flickenteppich.»
Eingreifen, wenn es nötig ist
Der Besuch in einer KV-Klasse in Schaffhausen zeigt: Die Schülerinnen und Schüler im Alter von 17 bis 19 Jahren sind grundsätzlich politisch interessiert, sie nehmen gerade Staatskunde durch. Schweizer Politik sei aber nicht wahnsinnig spannend. Auf einer Skala von 1 bis 10 geben sie eine 3 oder eine 4.
Beim Ausfüllen von Abstimmungs- und Wahlzetteln fühlen sich manche noch unsicher. «Ich habe mit meinen Eltern gesprochen und dann das gewählt, was sie gewählt haben.» Das verfälsche natürlich das Ergebnis, sagt eine Schülerin selbstkritisch. Dass nur die Hälfte der Bevölkerung wählen geht, sehen sie aber mehrheitlich gelassen. Viele seien wohl zufrieden damit, so wie es sei.
Wenn nur die Hälfte geht, kann es nicht grundsätzlich falsch laufen.
Eine Haltung, die auch Politologe Markus Freitag vertritt. «Ich wäre auch nicht beunruhigt, wenn es weniger wären.» Es sei ein Ausdruck von Zufriedenheit derer, die zu Hause blieben. Wer eingreifen will, tut dies per Stimmzettel. Mit oder ohne Stimmzwang.