Politikerinnen und Politiker mit Migrationshintergrund sind im Parlament künftig nicht stärker vertreten als zuvor. Viele Kandidierende sind enttäuscht – vor allem auch von ihren eigenen Parteien.
Eine von ihnen ist Sanija Ameti. Trotz ihrer nationalen Bekanntheit bekam sie nur den schlechten 18. Listenplatz auf der Zürcher Wahlliste der Grünliberalen und verpasste die Wahl. «Ich hätte mich wahrscheinlich vehementer für einen besseren Listenplatz einsetzen müssen», bilanziert die im heutigen Bosnien-Herzegowina geborene Ameti nach der Wahl.
Auch Përparim Avdili, Parteipräsident der FDP Stadt Zürich, beklagte einen schlechten Listenplatz. Der Politiker mit albanischen Wurzeln wusste, dass er mit dem wenig vorteilhaften Platz 15 auf der FDP-Liste keine guten Karten hatte. «Auf dem Listenplatz 15 geht man in der Wahrnehmung auch ein bisschen unter.»
Freuen konnte sich dafür Hasan Candan aus Luzern. Der türkischstämmige Innerschweizer schaffte die Wahl in den Nationalrat. Er trat auf Listenplatz 2 für die SP an.
Der Vorteil war der Anfangsbuchstabe seines Namens «C». «Es ist eine gute Wahl, dass man bei der SP im Kanton Luzern alphabetisch vorgeht. Denn es kann schon sein, dass die Listenplätze eine Auswirkung darauf haben, ob man gewählt wird», sagt Candan.
Der Listenplatz ist ein wichtiges Kriterium für intakte Wahlchancen, sagt Politologin Lea Portmann. Sie untersucht seit Jahren politische Repräsentation und Diskriminierung in der Schweizer Parteienlandschaft. Gerade Kandidierende mit Migrationshintergrund würden von den Parteien oft stiefmütterlich behandelt.
Wählende streichen Menschen mit Migrationshintergrund öfters
«Parteien setzen sie eher auf hintere Listenplätze. Und durch Wählerinnen und Wähler werden sie weniger oft kumuliert und panaschiert und dafür öfters gestrichen», sagt Portmann.
Das habe sich auch bei diesen Wahlen wieder gezeigt. Secondos und Kandidaten mit ausländischen Wurzeln waren zwar deutlich präsenter im Wahlkampf, mussten sich aber mit Ausnahmen mit hinteren, unattraktiven Listenplätzen zufriedengeben.
Mustafa Atici ist Präsident der Gruppe SP Migrantinnen und Migranten. Für ihn selbst war die Wahl weniger erfolgreich. Er verpasste die Wiederwahl in den Nationalrat, dennoch freut sich der gebürtige Türke für die beiden neugewählten Nationalräte mit Migrationshintergrund.
Die SP gehört zu jenen Parteien, welche den höchsten Anteil von Kandidierenden mit ausländischen Wurzeln aufweist. Dennoch sagt Atici: «Die SP ist gut unterwegs, aber langsam.» Denn auch in der SP seien die Migranten im Vergleich zur Bevölkerung untervertreten. «Auch bei der SP gibt es noch sehr viel zu tun.» Er wird weiterkämpfen für Politikinteressierte mit Migrationshintergrund.
Ob Atici in vier Jahren nochmals für den Nationalrat antreten wird, weiss er noch nicht. Ebenso wenig wissen das GLP-Frau Sanija Ameti sowie der freisinnige Përparim Avdili.
Waren also die Wahlen 2023 für die Schweizer Migrationsgeschichte ein Flop? Nein, meinen alle drei Befragten. Es habe sich schon was bewegt. Im Wahlkampf seien so viele Migrantinnen und Migranten präsent gewesen wie noch nie. Es gehe schon vorwärts – einfach langsam.