Sollte der Strom Ende des kommenden Winters knapp werden, will der Bundesrat auf eine Wasserkraft-Reserve zurückgreifen können. Demnächst sollen ihm die Betreiber von Speicherkraftwerken Angebote machen, für welchen Preis sie in ihren Speicherseen Wasser für total 500 Gigawattstunden Strom zurückbehalten können. Doch hat es dafür überhaupt genug Wasser in den unterdurchschnittlich gefüllten Seen? Viele Kraftwerke haben den künftigen Strom bereits verkauft. Energieministerin Simonetta Sommaruga nimmt dazu Stellung.
SRF News: Wie sicher sind Sie, dass es genug Stromproduzenten gibt, die Ihnen diese Speicherkraft auch anbieten?
Simonetta Sommaruga: Ich bin sehr zuversichtlich. Denn es ist im Interesse aller, dass wir diese Sicherheit für den nächsten Winter haben. Der Bundesrat hat heute aber auch entschieden, dass falls diese Angebote nicht kommen oder zu teuer sind, mein Departement die Anbieter verpflichten kann, diese Reserven zu schaffen. Es kann auch die Preise vorschreiben.
Gleichzeitig appelliert der Bundesrat an die Betreiber: Sie sollen jetzt auch Verantwortung übernehmen, mithelfen und nicht allenfalls noch versuchen, Profit aus dieser Situation zu schlagen.
Wenn Sie zur Reservehaltung verpflichten müssten, dürften die geschätzten 650 bis 750 Millionen Franken nicht reichen. Gibt es eine Schmerzgrenze?
Nein, das kann man so nicht sagen. Am Schluss würde die unabhängige Elektrizitätskommission sagen, wie viel Geld man verlangen kann. Das wird verfügt, daran muss man sich halten.
Alle sollen mithelfen, diese wichtigen Reserven auch tatsächlich zu schaffen.
Aber diese Firmen gehören ja den Gemeinden, Kantonen, Städten. Es geht letztlich um uns alle und um die Sicherheit der Stromversorgung des nächsten Winters. Da sollen alle mithelfen, diese wichtigen Reserven auch tatsächlich zu schaffen.
Zusätzlichen Strom wollen Sie auch gewinnen, indem sanierte Wasserkraftwerke vorübergehend weniger Wasser übrig lassen müssen für Fische und andere Lebewesen. Braucht es jetzt auch Abstriche beim Umweltschutz?
Das heutige Gesetz sieht vor, dass man in gewissen Situationen mehr Wasser brauchen darf, um Strom zu produzieren. Es ist erstens befristet auf den nächsten Winter. Zweitens: Die Mindestvorschriften für Restwasser müssen immer eingehalten werden. Und drittens: Es ist eine Massnahme, die man jetzt brauchen kann.
Es geht um unsere Stromversorgungssicherheit. Es betrifft ja nicht alle Werke, und für die paar wenigen ist das vertretbar und auch mit dem Umweltschutz zu vereinbaren.
Hat die Schweiz denn die Schutzinteressen zu lange zu hoch gewichtet, verglichen mit dem Interesse an der Stromproduktion?
Es wäre falsch, diese Schlussfolgerung aus dieser Situation zu ziehen. Wir haben einen Krieg in Europa, Russland liefert kein Gas mehr, mehr als die Hälfte der AKW in Frankreich ist nicht am Netz. Wir haben eine aussergewöhnliche Situation mit Preisexplosionen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Darum hat der Bundesrat für den nächsten Winter mehrere Massnahmen getroffen, für eine Art Sicherheitspolster.
Es geht wirklich um die Sicherheit, darum, unser Land gut aufzustellen für den kommenden Winter
Neben den zuvor erwähnten Massnahmen auch Reservekraftwerke, also Turbinen, die zusätzlichen Strom produzieren, wenn der Markt nicht mehr schliesst. Und auch die Möglichkeit, dass die Gasbranche zusätzliches Gas beschafft. Es geht wirklich um die Sicherheit, darum, unser Land gut aufzustellen für den kommenden Winter.
Aus Sicherheitsgründen steht für die Axpo nun der sogenannte Sicherheitsschirm zur Verfügung. Bis zu vier Milliarden Franken kann sie abholen, falls sie ihre Depotleistung an der Strombörse nicht erfüllen kann. Wer soll dann künftig die Einnahmen dieses früher verkauften Stromes kassieren?
Die Darlehen, die der Bundesrat für die Axpo vorgesehen hat, sind sehr unattraktiv. Sie müssen Zins und einen massiven Risikozuschlag bezahlen. Die wird die Axpo nur beziehen – sie bezogen bisher noch nichts – wenn es nicht mehr anders geht. Sie wird es auch möglichst schnell zurückzahlen.
Es war wichtig, dass der Bundesrat diese Massnahmen frühzeitig vorbereitet hat.
Bei diesem Geschäft ist auch wichtig zu erwähnen, wie wichtig es war, dass der Bundesrat diese Massnahmen frühzeitig vorbereitet hat. Der Rettungsschirm, die Reservekraftwerke, die Wasserkraftspeicher-Reserve: Vorsorgen für den nächsten Winter war dabei absolut zentral. Falls dann massiv Geld zurückkommt, ist sicherlich eine Frage, was man mit diesem Geld macht. Denn klar ist: Wir werden in Zukunft in der Schweiz massiv mehr in die einheimischen Energien investieren müssen.
Müssten also mit den zukünftigen Gewinnen erneuerbare Energien zugebaut werden?
Das ist eine Möglichkeit. Sie wird in ganz Europa diskutiert - falls man denn davon ausgeht, dass in den nächsten Jahren plötzlich massive Gewinne anfallen. Eine andere Frage ist: Müsste man damit Haushaltungen oder Firmen unterstützen, die jetzt in massivste Schwierigkeiten kommen? Erstmal geht es aber darum, für den nächsten Winter gut aufgestellt zu sein.
Der Präsident der Elektrizitätskommission empfahl der Bevölkerung, Brennholz und Kerzen zu kaufen. Haben Sie das schon gemacht?
Ich habe immer Kerzen zu Hause. Die Bevölkerung soll aber wissen: Der Bundesrat hat wirklich sehr viele Massnahmen bereits aufgegleist. Diese treten jetzt in Kraft. Wenn nun alle noch beim Sparen mithelfen - die Bevölkerung, die Wirtschaft, wir alle - dann können wir zuversichtlich sein, dass es im nächsten Winter für alle reicht.
Das Gespräch führte Nathalie Christen.