Wer nicht muss, soll in der Schweiz das Haus derzeit nicht verlassen. Für Menschen in konfliktgeladenen Beziehungen bringt das zusätzliche Probleme mit sich. Besonders gefährdet sind Frauen, wenn häusliche Gewalt bereits vorgekommen ist. Silvia Vetsch über die Herausforderungen in den Schweizer Frauenhäusern.
SRF News: Was bedeuten das Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen für Menschen in konfliktgeladenen Beziehungen?
Silvia Vetsch: Es ist eine schwierige Zeit, die auf diese Menschen zukommen wird. Wenn sie so eng aufeinander sind, ist das Konfliktpotenzial um einiges höher, als es ohnehin bereits ist. Wir gehen davon aus, dass es in den nächsten Wochen vermehrt zu häuslicher Gewalt kommen wird, weil die Menschen sich nicht auswärts betätigen können – beispielsweise beim Sport oder im Kino.
In der Schweiz haben wir sowieso zu wenig Betten.
Wie gehen Sie mit dieser Situation um, dass wahrscheinlich vermehrt Frauen mit ihren Kindern ihre Institutionen aufsuchen werden?
Wir können nicht mehr aufnehmen als wir Platz haben. Aktuell sind wir voll belegt.
Sie merken also bereits eine Zunahme?
Wir sind immer wieder voll belegt. In normalen Zeiten können wir auf andere Frauenhäuser ausweichen. Dann nehmen etwa andere Kantone Frauen aus dem Kanton St. Gallen auf oder umgekehrt. Die Situation mit den jetzigen Massnahmen müssen wir noch besprechen. Es stellen sich Fragen wie: Wie sehen das andere Häuser? Inwieweit können sie Frauen aufnehmen? Inwieweit sind die Mitarbeiterinnen gesund?
Die aktuellen Massnahmen sind für uns auch neu. Da müssen wir zuerst erst selber Strategien erarbeiten.
In der Schweiz haben wir sowieso zu wenig Betten. Das wissen wir bereits seit längerem – das Anliegen wurde auch schon mehrere Male beim Bund deponiert. Notfalls müssen wir auf Hotels ausweichen, solange diese noch geöffnet sind.
Da ist aber kein Schutz vorhanden, weil die Adresse bekannt werden könnte...
Genau.
Wie können sich betroffene Frauen und Kinder aktuell schützen?
Es gibt die üblichen ambulanten Beratungsstellen – die Opferhilfestellen –, welche in allen Kantonen vorhanden sein sollten. Ansonsten müssen die Betroffenen die Polizei einschalten. Die aktuellen Massnahmen sind für uns auch neu. Da müssen wir zuerst erst selber Strategien erarbeiten. Ich gehe davon aus, dass wir Mitarbeiterinnen uns zwischen Arbeitsort und unserem eigenen Zuhause bewegen werden und nicht unter Leute gehen. So können wir das Ganze eingrenzen.
Sie müssen also auch Ihren eigenen Schutz gewährleisten?
Genau. Wir müssen jetzt gesund bleiben. Denn wenn zu wenige Mitarbeiterinnen im Frauenhaus sind, können keine neuen Frauen mehr aufgenommen werden. Wir werden diese Woche in unserem Haus ein Quarantänezimmer einrichten, falls es so zu einem Infektionsfall kommen sollte.
Wenn eine Frau mit Anzeichen von Husten von Fieber zu Ihnen kommt: Würden Sie diese aufnehmen oder abweisen?
Wir müssten das vermutlich zuerst mit unserer Vertrauensärztin und dem Kantonsspital besprechen. Wenn wir das Quarantänezimmer haben, dann wäre das allenfalls möglich.
Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.