Das Reh liegt am Boden. Die Zunge draussen, das ist Leben entwichen. Aus dem aufgeschnittenen Bauch dampft es. «Es war ein sauberer Schuss», sagt der Schütze André Schätz. Seine Einschätzung: «Das Tier hat nicht gelitten.»
André Schätzle musste lange warten, bis er schiessen konnte. Über eine Stunde sass er regungslos auf einem Hochsitz im Bremgartenwald bei Bern. So wie 16 andere Jägerinnen und Jäger an diesem frühen Novemberabend auch. Sie alle wurden zur Jagd eingeladen – und zwar von der Waldbesitzerin. Es ist die Berner Burgergemeinde, welche über viel Wald im Kanton Bern verfügt. Sie sorgt sich um die Gesundheit des Waldes.
Das Problem der vielen Rehe
Der Burgergemeinde geht es um nicht weniger als um das Überleben des Bremgartenwaldes. Der Wald, nahe der Stadt Bern, zerschnitten von der Autobahn, ist trotz Stadtnähe ein Tummelfeld für Rehe. Natürliche Feinde? Fehlanzeige! Nur die Jägerinnen und Jäger können den Bestand in Schach halten. Das Problem: Der Bremgartenwald ist kein beliebtes Jagdrevier. Das hat seine Gründe.
Viele Menschen haben kein Verständnis für die Jagd.
Philipp Egloff ist Co-Leiter des burgerlichen Forstbetriebs. Er wünscht sich mehr Jägerinnen und Jäger - und deutlich weniger Rehe. «Die Situation hier ist speziell», sagt Egloff und meint damit die Stadtnähe. Der Wald sei als Ausflugsgebiet und Erholungsraum bei den Bernerinnen und Bernern beliebt. «Diese Personen haben oftmals kein Verständnis für die Jagd.» Dabei sei diese enorm wichtig.
Seit 10 Jahren versucht die Burgergemeinde Bern, mit Jagdevents die Jägerinnen und Jäger anzulocken. Sie organisiert die Jagd, serviert ein Abendessen und hat auch die Ansitze – Orte, wo Jägerinnen und Jäger auf Rehe warten können – eingerichtet.
An diesem kalten Novemberabend ist der Auftrag an die Jagdgemeinschaft somit klar: Rehe schiessen. Die Jägerinnen und Jäger verharren über eine Stunde an einem Ort und warten. Der Einladung gefolgt ist auch David Santschi.
Er jagt hier nicht zum ersten Mal und kennt die spezielle Situation. «Bin ich hier im Wald mit einem Gewehr unterwegs, werde ich fast immer angesprochen.» Und zwar nicht nur freundlich: «Gewisse Leute sind aggressiv und beschimpfen uns als kaltblütige Mörder.» Es tue deshalb gut, den Support der Burgergemeinde zu haben.
Trotz der vielen Menschen: Die Jagd hier ist sicher.
Die vielen Menschen im Wald stellen für den erfahrenen Jäger kein Problem dar. «Wir sind gut ausgebildet – für die Leute ist unsere Jagd ungefährlich.»
An diesem Abend wird ein Reh geschossen. Die Jägerinnen und Jäger schätzen, dass rund 80 davon im Bremgartenwald leben. Viel Aufwand für ein Reh weniger – ist das nicht eine etwas magere Ausbeute? Gastgeber und Co-Forstleiter Philipp Egloff sagt es so: «Hauptsache ist, dass wir mit dem Anlass den Jägerinnen und Jäger die Jagd bei uns schmackhaft machen können.»
Trotzdem analysiert die Burgergemeinde zusammen mit der Jagdgesellschaft diese Events – die Effizienz soll gesteigert werden. Die Jägerinnen und Jäger können sich beispielsweise vorstellen, dass die Rehe mit Futterpflanzen angelockt werden. Nicht infrage kommt die Jagd mit Hunden. Dafür sei das Verständnis in der stadtnahen Bevölkerung nicht vorhanden.
Für diesen Abend ist die Jagd im Bremgartenwald zu Ende. Im Forstzentrum der Burgergemeinde gibt es für die Jagdgesellschaft Zopf und Hammen sowie eine warme Suppe und kühles Bier. Die Jägerinnen und Jäger tauschen ihre Erfahrungen aus. Das geschossene Reh wurde mittlerweile in einer Plastikbox verstaut.