Das Wichtigste in Kürze
- Das Gesetz garantiert: Konsumenten sollen jederzeit frei wählen können, ob sie gentechnisch veränderte Organismen zu sich nehmen wollen oder nicht.
- Doch was gentechnisch verändert bedeutet, ist derzeit hoch umstritten. Die Forschung arbeitet heute mit Methoden, die gezielt ins Erbgut eingreifen und Gene verändern.
- Der Bundesrat muss entscheiden: Gentechnik oder nicht?
Die umstrittenen Methoden heissen TALEN, ODM, RTDS. Die bekannteste von ihnen ist «Crispr»: Für Konsumenten ist das Kauderwelsch, für manche Züchter und Forscher eine klangvolle Verheissung: Sie können damit so genau ins Erbgut eingreifen, wie das bisher nicht möglich. Im Fall von Crispr mit einer relativ einfach zugänglichen, günstigen Methode, die im Idealfall nicht einmal Spuren in der Zelle hinterlässt. Das funktioniert so:
Vereinfacht spricht man von einer Genschere. Die Genschere sucht eine bestimmte Sequenz im Erbgut und setzt dort an. Sie schneidet den Strang des Erbguts an einer genau definierten Stelle. Nun repariert die Zelle den Schnitt. Die Forscher hoffen nun auf eine leichte Abweichung, eine Mutation. Das Gen wird so ausgeschaltet – man spricht von «gene silencing», dem Stummschalten eines Gens.
Ich kann etwas erzeugen, das in der Natur tagtäglich vorkommt, das man in der konventionellen Züchtung schon länger braucht, einfach gezielter.
Aber: Forscher können mit der Genschere nach dem Schnitt an der entstandenen Lücke auch neue Gene einfügen, auch artfremde. Es kommt also auf die Anwendung an, wie viele Spuren Crispr in der Zelle hinterlässt, sagt Bruno Studer, Professor für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich: «Ich kann damit etwas herstellen, das nach unserem Verständnis Gentechnologie ist. Ich kann aber etwas erzeugen, das in der Natur tagtäglich vorkommt, das man in der konventionellen Züchtung schon länger braucht, einfach gezielter.»
Neues Werkzeug für einzelne Züchtungen
Ginge es nach Forschern wie Bruno Studer, hätten Züchter künftig bei einzelnen Pflanzen wie etwa Mais mit der Genomeditierung ein neues Werkzeug zur Verfügung, das präzise Eingriffe ins Erbgut möglich macht. Doch das Gesetz setzt der Gentechnik in der Schweiz enge Grenzen:
- Der Anbau ist bis 2021 durch ein Moratorium verboten.
- Eine strenge Risikoprüfung ist nötig, wenn man gentechnisch veränderte Lebensmittel einführen will.
- Deklaration ist Pflicht, damit Konsumenten bewusst entscheiden können.
Die Akademie der Wissenschaften fordert, dass man die neuen Methoden der Genschere nicht so streng regulieren dürfe: Die Methoden grundsätzlich zulassen! Und dann bei jeder Pflanzensorte eine eigene Risikoprüfung durchführen. Das wurde bedeuten, dass für manche Züchtungen, die mit Genomeditierung entstanden sind, die strenge Riskoprüfung, die Deklarationspflicht und das vorläufige Anbauverbot nicht gelten.
Mit den neuen Techniken bin in der Tat präziser, aber die Frage ist, ob das so viel sicherer ist.
Präziser? Ja. Aber sicherer?
Das ginge Eva Gelinsky zu weit. Sie koordiniert die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit, ein Zusammenschluss von Züchtungsunternehmen und Erhaltungsorganisationen, die gentechnikfrei arbeiten. Selbst Kritiker reden bei den neuen Technologien von einem Durchbruch: «Mit der alten Gentechnik habe ich Gene eingebracht und konnte den Ort des Einbaus nicht bestimmen. Das war zufällig und häufig hat das gar nicht funktioniert. Mit den neuen Techniken bin in der Tat präziser, aber die Frage ist, ob das so viel sicherer ist.»
Kritik an EU-Entscheid
Einen wahrscheinlich wegweisenden Entscheid hat der Europäische Gerichtshof diesen Sommer gefällt. Er entschied: Die neuen Methoden der Genom-Editierung gelten EU-weit als Gentechnik und müssen genau so streng reguliert werden. Wissenschaftler in ganz Europa kritisieren diesen Entscheid.
Nichts im Leben ist ohne Risiko. Aber das Risiko der hochpräzisen Eingriffe mit den modernen Tools ist abschätzbar.
ETH-Forscher Bruno Studer sagt, die Gentechnologie habe keine grösseren Risiken als die herkömmliche Züchtung. Darüber sei sich die Wissenschaft weitgehend einig. In der herkömmlichen Züchtung verändere man teils mit Chemie oder Strahlung das Erbgut ungezielt und an vielen Stellen. «Es ist vermessen zu sagen, dass keine Risiken bestehen. Nichts im Leben ist ohne Risiko. Aber im Vergleich zu den Schrotschussverfahren in der konventionellen Mutationszüchtung, ist das Risiko der hochpräzisen Eingriffe mit den modernen Tools, abschätzbar.»
Eva Gelinsky ist auch im Vorstand von Critical Scientists Schweiz. Eine Vereinigung von Wissenschaftlern, welche vom Bund eine strenge Regulierung der neuen Technologien fordert. Die Risiken seien noch zu wenig erforscht: «Man kann fremde DNA einbauen, man kann ganze Stoffwechselwege ändern. Das sind doch gravierende Änderungen, die man da vornehmen kann.»
Und um die Wahlfreiheit für Konsumenten aufrecht zu erhalten, ist es notwendig das zu kennzeichnen.
Deklaration gefordert
Diese neuen Techniken und daraus entstandene Sorten, wie konventionelle Sorten zuzulassen hätte aus ihrer Sicht noch andere Nachteile: «Das würde bedeuten, dass der Biobereich und der Gentechnik-freie konventionelle Bereich vom Züchter über den Bauern bis hin zum Kunden, keine Kenntnis darüber hätte, was er da eigentlich konsumiert. Und um die Wahlfreiheit aufrecht zu erhalten, ist es notwendig das zu kennzeichnen.»
Die Agronomin hat im Auftrag des Bundes nachgeforscht, was auf Konsumenten zukommen könnte: Auf dem Markt ist bisher erst eine Sorte, ein Raps in den USA, aber weltweit sind mindestens 60 neue Züchtungen in der Pipeline, die auf den neuen Verfahren basieren.
Den Entscheid fällt der Bundesrat
In der Schweiz haben die Bundesämter für Landwirtschaft und Umwelt den rechtlichen Status der neuen gentechnischen Verfahren geprüft. An den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs ist die Schweiz prinzipiell nicht gebunden, aber im Züchtungsbereich ist die Schweiz eng mit Europa verflochten.
Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs schränkt die Optionen für die Schweiz ein. Ein Alleingang scheint nicht denkbar. Aber das Bundesamt für Umwelt hält fest: «Aus Schweizer Sicht ist das Enddatum des Anbaumoratoriums für GVO Ende 2021 ein wesentlicherer Faktor als der EU-Entscheid.»
Nun liegt das Dossier beim Bundesrat. «Es haben verschiedene Treffen der beteiligten Kreise stattgefunden, die Arbeiten laufen. Die Grundlagen sollen auf Ende Jahr/Anfang nächstes Jahr erarbeitet sein», so das Bundesamt für Umwelt.