Es ist ein Eingriff ohne medizinische Not. Ein Eingriff, der bei Frauen und Mädchen häufig ohne Betäubung und unter unhygienischen Umständen erfolgt. Und vor allem ist es ein Eingriff, der tödlich ausgehen kann oder bei Betroffenen ein Leben lang grosses Leiden auslöst – gesundheitlich wie seelisch. Und trotzdem sind auch in der Schweiz weiterhin tausende Mädchen und Frauen von Genitalbeschneidungen betroffen oder bedroht.
Experten schätzen die Zahl der Betroffenen in der Schweiz auf 22'000 – im Kanton Zürich dürften es gegen 3000 Mädchen oder Frauen sein. Sie alle sind Opfer einer schweren Menschenrechtsverletzung. Internationales Recht, die Gesetzgebung der Schweiz und der allermeisten anderen Staaten verbieten weibliche Genitalbeschneidungen. Dennoch wird der Eingriff in Teilen Afrikas, Asiens und im Nahen Osten vorgenommen.
Neue Anlaufstelle in Zürich
Zum Schutz von Mädchen und Frauen wird das Netz von Anlaufstellen in der Schweiz nun ausgebaut. Der Kanton Zürich richtet im Ambulatorium Kanonengasse in der Zürcher Innenstadt eine Beratungsstelle ein, in der sich Betroffene, Gefährdete, aber auch Fachpersonen und Angehörige kostenlos unterstützen lassen können. Der Betrieb startet Anfang 2024, die Kosten für die nächsten vier Jahre betragen zwei Millionen Franken.
Die Hilfe für Betroffene sei dringend angezeigt, sagt die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. «Viele Frauen haben das Gefühl, Genitalbeschneidungen gehörten einfach zu ihrer Kultur und sie könnten nichts dagegen unternehmen. Das ist aber nicht so.» Deshalb sei es wichtig, Betroffene in ihrer Landessprache und in ihrer Community zu erreichen, so Rickli – beispielsweise über die Schule, das Asylwesen oder die Religion.
Verzögerungen wegen Corona
Das Thema Genitalbeschneidungen begleitet die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli schon seit Jahren. Bereits 2018, als sie noch für die SVP im Nationalrat sass, reichte sie einen Vorstoss ein, der Massnahmen forderte. Und der Bericht des Bundesrats zwei Jahre später zeigte dann auch schweizweiten Handlungsbedarf auf.
Unterdessen existieren in verschiedenen Kantonen Anlaufstellen – die neuste nun im Kanton Zürich, drei Jahre nach dem Bericht des Bundes. Rickli betont, dass die Corona-Pandemie zu Verzögerungen geführt habe. «Wir haben das Thema trotzdem im Hintergrund weiter vorangetrieben, haben einen runden Tisch organisiert und mit Betroffenen gesprochen.» Das alles brauche erstens Vorbereitungszeit und zweitens eine bewilligte Finanzierung.
Betroffenen die Scham nehmen
Es sei wichtig, dass in möglichst vielen Kantonen ein niederschwelliges Unterstützungsangebot existiere, sagt Simone Giger vom Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz. «Weibliche Genitalbeschneidung ist ein Tabuthema, ein sehr intimes und häufig schambehaftetes Thema. Und für Mädchen und Frauen, die davon betroffen oder bedroht sind, ist es sehr schwierig, darüber zu sprechen.»
Die Tabuisierung des Themas sieht Giger dann auch als grösste Herausforderung, sowohl in einer Beziehung wie auch in Diskussionen unter Fachpersonen. Gerade hier helfe die Expertise der verschiedenen Anlaufstellen, sagt Giger. Dass nun mit Zürich der bevölkerungsreichste Kanton und derjenige mit den meisten Opfern in das bestehende Netz integriert wird, sei «ein weiterer, wichtiger Schritt» im Kampf gegen Frauenbeschneidungen.