Das Wichtigste in Kürze
- Bis zu 3200 Eritreer sollen ihre vorläufige Aufnahme verlieren. Die Rückkehr nach Eritrea sei «zumutbar», schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) den Betroffenen.
- Damit vollzieht Justizministerin Simonetta Sommaruga eine Kehrtwende.
- Bürgerliche begrüssen den «Paradigmenwechsel», Linke sind entsetzt.
Die ersten Briefe sind bereits verschickt: Die Rückkehr nach Eritrea sei für sie «zumutbar», schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) einer Eritreerin, die seit 2015 in der Schweiz lebt. Und weiter: «Das SEM beabsichtigt deshalb, ihre vorläufige Aufnahme aufzuheben und den Vollzug der Wegweisung anzuordnen», so die Behörde. Für die betroffene Eritreerin ist der Brief ein Schock. Sie hatte sich auf ein Leben in der Schweiz eingestellt. Wie Recherchen der «Rundschau» zeigen, ist sie kein Einzelfall.
Grosse Überprüfungsaktion des Bundes
Der Bund sei verpflichtet, vorläufige Aufnahmen regelmässig zu überprüfen, sagt das SEM gegenüber der «Rundschau»: «Momentan sind wir daran, rund 3200 vorläufige Aufnahmen von Eritreerinnen und Eritreern zu überprüfen», sagt Sprecher Martin Reichlin.
Die Behörde begründet die Auswahl und die Menge der Dossiers mit dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil von letztem Sommer. Das Gericht hatte Wegweisungen nach Eritrea als grundsätzlich «zumutbar» bezeichnet. Das SEM betont, dass die betroffenen Personen die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs hätten. Jeder Fall werde individuell geprüft.
Sommarugas Kehrtwende
Noch 2015 hatte Bundesrätin Simonetta Sommaruga ganz anders getönt: «Es ist undenkbar, dass die Schweiz Menschen in einen Willkürstaat zurückschickt», so die Bundesrätin damals.
Sie verteidigte damit vehement die Politik der Schweiz, fast alle asylsuchenden Eritreer aus humanitären Gründen vorläufig aufzunehmen und ihnen Schutz zu gewähren.
Das ist ein Paradigmenwechsel, ein Meilenstein.
«Frau Sommaruga wird von der Geschichte eingeholt. Dieser Blankoscheck für die Eritreer war nicht haltbar», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen zu der Überprüfungsaktion des SEM. «Das ist ein Paradigmenwechsel, ein Meilenstein. Bis heute hat man immer gesagt, man könne niemanden zurückschicken», begrüsst auch CVP-Präsident Gerhard Pfister die härtere Gangart gegenüber Eritreern.
Kritik aus den eigenen Reihen
Ganz anders beurteilt SP-Nationalrätin Yvonne Feri den Sachverhalt: «Ich bin sehr erschrocken über diesen Brief und die hohe Anzahl Betroffener. Eritrea wird weiterhin diktatorisch geführt. Es gibt keine Verfassung», so die Aargauer SP-Nationalrätin. Der Entscheid sei für sie deshalb «nicht nachvollziehbar».
Sie habe keine Informationen über «substanzielle Verbesserungen» im ostafrikanischen Land. Zudem handle es sich um Personen, die zum Teil seit Jahren hier leben würden und sich in der Schweiz integrieren wollen.
Ich gehe sicher nicht nach Eritrea zurück. Eher lebe ich als Illegale und schlafe am Bahnhof.
Aber die Schweiz kann zurzeit gar keine Menschen zwangsweise nach Eritrea zurückführen. Es gibt kein Rückübernahmeabkommen mit dem ostafrikanischen Land. Freiwillig werden wohl die wenigsten zurückkehren.
«Ich gehe sicher nicht nach Eritrea zurück. Eher lebe ich als Illegale und schlafe am Bahnhof», so eine betroffene Eritreerin in der «Rundschau». Genau das ist auch die Befürchtung von Yvonne Feri. Dass viele untertauchen oder in die Nothilfe abrutschen und ohne Perspektive in der Schweiz bleiben.
Bürgerliche fordern eine Botschaft in Eritrea
Auch Christian Wasserfallen räumt ein, dass zwangsweise Rückführungen derzeit nicht möglich sind. «Optimal wäre eine Migrationspartnerschaft oder ein Rückübernahmeabkommen mit Eritrea», so FDP-Nationalrat Wasserfallen. Doch das sei gegenwärtig unrealistisch. Für ihn führt «kein Weg daran vorbei», dass die Schweiz nun in Eritrea eine Botschaft eröffne und den Kontakt mit Eritrea intensiviere. CVP-Präsident Gerhard Pfister betont die Wichtigkeit von Rückkehrhilfen.