Toni Frisch verkörperte jahrzehntelang die humanitäre Schweiz. Er war Leiter der humanitären Hilfe des Bundes. Bis 2021 war er auch Sonderbeauftragter für die Ukraine bei der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Frisch kritisiert: Wenn es um die Ukraine gehe, mache die Schweiz zu wenig. «Wenn wir schon keine Munition und Waffen liefern können, müssen wir mit unserer humanitären Tradition mehr tun», fordert Frisch.
Kritik an der Schweiz aus Berlin
Am Mittwoch musste Bundespräsidentin Viola Amherd in Berlin zumindest verklausuliert Kritik einstecken. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in Amherds Anwesenheit die grosse Unterstützung seines Landes für die Ukraine. Es war ein recht deutlicher Seitenhieb. Hinter den Kulissen kritisieren Deutschland und andere europäische Länder schon länger, die Schweiz müsse sich finanziell stärker engagieren.
Ein regelmässig aktualisierter Vergleich des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt: Die mit Abstand grössten Unterstützer der Ukraine sind die USA. Gefolgt von den EU-Institutionen und Deutschland. Auf dem 7. und 8. Platz folgen mit Dänemark und den Niederlanden ähnlich grosse Länder wie die Schweiz.
Die Schweiz folgt erst auf dem 18. Platz mit bisher 0.7 Milliarden Franken Hilfe.
SVP-Aussenpolitiker und Parteileitungsmitglied Franz Grüter findet dennoch, die Kritik an der Schweiz sei ungerechtfertigt. «Wir gehören zu den Top-10-Ländern, wenn man die Waffen weglässt», erklärt Grüter: «Wir haben auch sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und geben dafür rund zwei Milliarden aus.» Die Schweiz müsse sich nichts vorwerfen lassen, sagt der Luzerner SVP-Nationalrat.
Paket für Ukraine und Armee absturzgefährdet
Bundespräsidentin Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis kündigten im April an, die Ukraine in den nächsten zwölf Jahren mit zusätzlichen fünf Milliarden Franken zu unterstützen. Allerdings ist diese Summe noch nicht finanziert.
Auch deshalb schnürte die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats ein Paket: 10.1 Milliarden für die Schweizer Armee und fünf Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine. Diese Summe soll an der Schuldenbremse vorbei finanziert werden, schlug eine Mitte-Links-Koalition vor.
Allerdings droht das Paket in der kommenden Sommersession im Parlament abzustürzen. Viele Bürgerliche und der Bundesrat sind strikt gegen zusätzliche Schulden. So übte die Finanzkommission des Ständerats in der vergangenen Woche scharfe Kritik am Vorhaben.
Der Krieg und die Schuldenbremse
Dies kann Toni Frisch nicht verstehen. Der ehemalige Armee-Oberst findet, die Schweizer Armee brauche in dieser geopolitisch unsicheren Lage dringend mehr Mittel.
Besonders störe ihn die Erklärung des Finanzdepartements, der Ukraine-Krieg sei kein hinreichender Grund, Ausgaben an der Schuldenbremse vorbei zu verbuchen. «Braucht es eine europaweite Sintflut biblischen Ausmasses, wenn ein Krieg nicht reicht?», fragt sich Frisch.
Einsparungen in Afrika
Der Bundesrat plant, die zusätzlichen fünf Milliarden mindestens teilweise in der Entwicklungshilfe zu kompensieren. Falls es im Parlament keine Mehrheit für mehr Ausgaben gibt, dürfte das Geld für die Ukraine vor allem in Afrika eingespart werden.
Dem ehemaligen Leiter der Humanitären Hilfe Schweiz bereitet dies grosse Sorgen. «Die ärmsten Länder des Südens werden die Zeche bezahlen müssen», befürchtet Frisch. Bei der bürgerlichen Mehrheit im Parlament stossen Frischs Warnungen allerdings auf wenig Echo.