Heinrich Neuenschwander war fast sein ganzes Leben lang ein begeisterter Schütze. Vor 15 Jahren aber wurde ihm ausgerechnet im Schiessstand bewusst, dass künftig wohl nichts mehr so sein wird, wie es war. «Als ich abdrücken wollte, habe ich nur noch gezittert.»
«Hudle» nennt Heiri Neuenschwander sein unkontrollierbares Zittern auf Berndeutsch. Parkinson nennen es die Ärzte. Seit diesem Erlebnis im Schiessstand geht es mit der Gesundheit des ehemaligen Metallbauschlossers bergab. Wenn der heute 88-Jährige vom Esstisch aufstehen und in den Fernsehstuhl wechseln will, ist das eine grössere Übung.
Seit 58 Jahren verheiratet
Margret Neuenschwander ist auch bereits über 80. Seit sie sich dieses Frühjahr die Hüfte gebrochen hat, ist sie selber auf den Rollator angewiesen. Trotzdem umsorgt sie ihren Mann so gut es geht. Schliesslich seien sie seit 58 Jahren zusammen und das soll so lange wie möglich so bleiben: «Ich habe ihm versprochen, er müsse nicht ins Altersheim.» Aber manchmal zweifelt sie daran, ob dies vielleicht doch nicht bis zuletzt möglich sei.
Vor ein paar Jahren sind die Neuenschwanders aus ihrer alten Wohnung in eine praktischere umgezogen. Sie liegt im Erdgeschoss und ist rollstuhlgängig. Von den beiden erwachsenen Kindern und den Enkeln, von den Fachleuten der Spitex, von einer Putzfrau und vom Mahlzeitendienst erhalten sie viel Hilfe.
Trotzdem werde ihr manchmal alles zu viel, seufzt Margret Neuenschwander: «Manchmal fühle ich mich überfordert», sagt sie. Die Überforderung sei nicht so sehr körperlich, eher emotional.
Entlastung für die Angehörigen
«Ich bin 46 Jahre lang ins Singen gegangen. Als man meinen Mann nicht mehr am Abend allein lassen konnte, hat mir jemand gesagt, dass es einen Entlastungsdienst gebe, damit ich weiter hingehen kann.» Der Dienst komme auch dann, wenn die Angehörigen etwas für sich selbst unternehmen wollten.
Sie pflegen Angehörige? Hier finden Sie wichtige Informationen.
Sich selber etwas gönnen sei wichtig, bekräftigt Udo Michel vom Entlastungsdienst Schweiz; nur für andere da sein, funktioniere auf Dauer nicht: «Es ist enorm wichtig, dass man Verschnaufpausen einbaut. Sie ermöglichen es, die Menschen so lange wie möglich zu Hause zu betreuen.»
Rund 800 Angestellte des Entlastungsdienstes Schweiz übernehmen für einige Stunden die Arbeit der pflegenden Angehörigen. Sie leisten den Patienten Gesellschaft, spielen, kochen, kaufen ein und machen alles, ausser medizinischer Pflege.
Krankenkassen bezahlen nichts
Kassenpflichtig sind solche Dienstleistungen nicht, bedauert Michel. Dabei müsste die Gesellschaft interessiert daran sein, dass die pflegenden Angehörigen ihre Arbeit durchstehen: «Es werden 80 Millionen Stunden pro Jahr Freiwilligenarbeit geleistet. Das könnte sich unser Gesundheitssystem, wie es im Moment ist, gar nicht leisten.»
Die Neuenschwanders zahlten den Entlastungsdienst aus der eigenen Tasche, bis Frau Neuenschwanders Unfall alle Pläne durchkreuzte. Auch die Chorproben musste sie wieder streichen.
Daheim feiern wäre ein Geschenk
Inzwischen geht es ihr aber besser und sie darf wieder träumen: «Ich wünsche mir, dass ich wieder ins Singen kann.» Das ist ein Wunsch, der dank des Entlastungsdienstes in Erfüllung gehen könnte, so wie auch jener ihres Mannes: «Ich möchte hier bleiben, so lange es geht.»
In zwei Jahren können die Neuenschwanders ihren 60. Hochzeitstag feiern, die diamantene Hochzeit. Es wäre ein grosses Geschenk für die beiden, wenn sie sie zu Hause feiern könnten.