In Lugano ist die zweitägige Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine zu Ende gegangen. Als Gastgeber mittendrin: die Schweiz und Bundespräsident Ignazio Cassis. Was bleibt von diesem Treffen im Tessin? Der Aussenminister blickt auf die wichtigsten Eckpfeiler zurück.
SRF News: Herr Bundespräsident, wie lautet Ihre persönliche Bilanz der Lugano-Konferenz?
Ignazio Cassis: Ich bin soweit zufrieden. Wir hatten ja drei Ziele: Das erste war, Eckwerte zu definieren, auf denen ein Wiederaufbau-Pfad gründen kann. Und das haben wir mit der «Erklärung von Lugano» getan. Das zweite Ziel war, zu wissen, wer für die nächste Konferenz an Bord ist. Das wurde auch zufriedenstellend gelöst. Wir haben auf der einen Seite die Europäische Union, die stark unterstützte, aber auch Grossbritannien und die USA.
Und wir haben auch die Zusage von Grossbritannien für die Konferenz des nächsten Jahres und von Deutschland für die Konferenz von 2024. Dies ist mehr als gewünscht. Das dritte Ziel war es, die nächsten Schritte klar vor Augen zu haben. Eine erste entsprechende operative Sitzung hat bereits stattgefunden. Ich glaube, es hätte nicht besser laufen können.
Wenn wir auf die Hilfen zu sprechen kommen: Auch die Schweiz will mithelfen. Kann man da schon mehr sagen?
Ich glaube, die konkreteste Hilfe, welche die Schweiz leisten konnte, war die Organisation dieser Konferenz. Sie ermöglicht den ersten Schritt, überhaupt einen Wiederaufbau-Pfad zu haben. Jetzt wird es darum gehen, aufgrund dieser Eckwerte und dieses Pfades einen Zeitplan aufzustellen. Wir müssen auch festlegen, wie wir kurz-, mittel- und langfristig handeln wollen. Und dazu hat die Ukraine selbst einen interessanten Plan festgelegt, der jetzt analysiert und aufgrund dessen wahrscheinlich auch die konkrete Hilfe im Sinne von infrastrukturellen Projekten und Finanzierungen fixiert wird.
Jetzt braucht die Ukraine ja vor allem auch Soforthilfe, zum Beispiel Waffen. Und sie plädiert für verstärkte Sanktionen. Macht hier die Schweiz genug?
Das absolut erste Ziel der Ukraine ist es, den Krieg zu stoppen. Zweitens muss das Land die wesentlichen Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen. Dazu gehören Wasserleitungen und die Gasversorgung. Denn die Sorge für den kommenden Winter ist gross.
Hier sind wir aus der Schweiz mit humanitärer Hilfe sehr präsent. Wir haben das Engagement für die nächsten zwei Jahre von 50 auf 100 Millionen Franken erhöht. Und wir haben uns verpflichtet, noch stärker mitzuwirken. Betreffend notwendiger Gelder für den mittel- und langfristigen Wiederaufbau wird es aber noch Diskussionen brauchen.
Längerfristig soll der Ukraine mit sieben Prinzipien geholfen werden, damit der Wiederaufbau möglich wird. Eines davon: Transparenz. Wir wissen, dass die Ukraine ein Problem mit dem internationalen Korruptionsindex hat – da befindet sich das Land im hintersten Drittel. Ist die Korruption der grosse Knackpunkt?
Es ist ein Problem von vielen. Die Ukraine hat gesagt, sie sei in der Bekämpfung und Vorbeugung von Korruption sehr engagiert.
Die Ukraine ist willig, die nötigen Reformen gemeinsam mit dem Wiederaufbau des Landes anzugehen.
Das Land hat sich in den letzten zwei Jahren enorm stark digitalisiert. Dies ermöglicht es, viele Geschäfte mit Behörden zu machen, ohne dass zwischenmenschliche Kontakte stattfinden. Mit Digitalisierung kann man der Korruption vorbeugen. Die Ukraine ist willig, die nötigen Reformen gemeinsam mit dem Wiederaufbau des Landes anzugehen. Deshalb spricht die Ukraine auch von «building back better» – nach dem Wiederaufbau soll die Ukraine besser dastehen als zuvor.
Das Gespräch führte Urs Gredig.