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Wohnungsnot in Zürich Leerkündigungen verdrängen ärmere Menschen

Neue Untersuchungen der ETH zeigen: Nirgends wird so oft ganzen Wohnblöcken gekündigt wie in Zürich – und nirgendwo in der Schweiz werden so viele Mieter und Mieterinnen aus ihrem Zuhause verdrängt. Betroffen sind vor allem ärmere Menschen, darunter viele Ältere.

Edi Bürchler und Claudia Keller wohnen seit 14 Jahren an der Döltschihalde in Zürich. Ende Jahr haben sie die Kündigung erhalten. «Für mich war das ein Riesenschreck», sagt Keller. Sie habe nicht mehr schlafen und essen können.

Städtische Gebäudeansicht, mit Hügel im Hintergrund.
Legende: Für die Überbauung an der Döltschihalde wurden Leerkündigungen ausgesprochen. KEYSTONE/Christian Beutler/Archiv

Keller und Bürchler sind 71 und 82 Jahre alt. «Eigentlich kommen für uns nur Alterswohnungen infrage.» Diverse Male hätten sie Absagen für Wohnungen erhalten wegen ihres Alters. Ausserdem seien die meisten Wohnungen auf dem Markt für sie zu teuer.

Mit Bürchler und Keller müssen 58 Haushalte aus der Überbauung an der Döltschihalde ausziehen. Rund 100 Menschen verlieren ihr Zuhause. Die Siedlung ist kein Einzelfall.

In Zürich am meisten Leerkündigungen

ETH-Professor David Kaufmann hat im Auftrag des Bundes die fünf grössten Schweizer Städte verglichen: «Auch andere Städte wie Genf und Basel sind international attraktiv für Firmen. Es ist aussergewöhnlich, dass es in der Region Zürich so viel mehr Leerkündigungen gibt.»

Er hat auch untersucht, wer bei Leerkündigungen aus seinem Zuhause verdrängt wird: «Die Verliererinnen dieser Neubautätigkeit sind Menschen, die sonst schon weniger Chancen haben in unserer Gesellschaft.» Es sind Ältere, Asylsuchende, Alleinstehende.

ETH untersucht Leerkündigungen

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Eine Forschungsgruppe an der ETH untersucht, welche Menschen nach Leerkündigungen in den fünf grössten Agglomerationen und Städten der Schweiz verdrängt werden. Ein Teil der Analysen wurde bereits an einer Fachtagung öffentlich gezeigt, der ganze Bericht wird Ende Juni publiziert.

Bei einer sogenannten Leerkündigung erhalten alle Mieter und Mieterinnen in Häusern oder ganzen Siedlungen die Kündigung. Die Häuser werden totalsaniert oder abgerissen und neu gebaut und dann meist zu marktüblichen, also deutlich höheren Preisen, neu vermietet. Die Leerkündigung der sogenannten Sugus-Häuser sorgte schweizweit für Schlagzeilen.

In die neuen Wohnungen ziehen laut der Untersuchung Menschen, die rund doppelt so viel verdienen. «Das sind eher jüngere Leute, oft Haushalte ohne Kinder, sowohl gut verdienende Schweizer als auch Expats», so Kaufmann.

30 Prozent aus Wohngemeinde verdrängt

Ein Grossteil fände eine Wohnung in der gleichen Gemeinde, aber oft am Rande der Stadt und in älteren Häusern, die dann wiederum Gefahr liefen, abgerissen oder totalsaniert zu werden. Rund 30 Prozent der Betroffenen würden aus der bisherigen Wohngemeinde verdrängt.

Dieses Schicksal droht Susanne Haug. Die 81-Jährige wohnt in der Zürcher Siedlung Heuried, die abgerissen wird. Weil sie in der Stadt keine Alterswohnung finde, habe sie sich in der halben Schweiz beworben. Sie nähme sogar in Kauf, auf einem Campingplatz zu wohnen: «Mein Sohn hätte mir dann einen Wohnwagen gekauft.»

Eigentümerin von Haugs Siedlung ist die UBS. Diese schreibt, sie hätte den Mietenden durch frühes Informieren genügend Zeit eingeräumt und sie mit diversen Massnahmen unterstützt. Haug hat bisher keine Wohnung gefunden. Für sie wäre es schwer, die Siedlung – oder gar die Stadt – zu verlassen: «Ich bin ein alter Baum und werde einfach entwurzelt.»

«Wer verdichten will, muss Wohnraum vernichten»

Einer der Grossen im Schweizer Immobilienmarkt ist der Generalunternehmer Halter. In Zürich Altstetten will Halter 317 Wohnungen abreissen und 376 neue bauen. Balz Halter, VR-Präsident von Halter, sagt, Verdrängung sei nicht zu vermeiden, wenn man verdichten und zusätzlichen Wohnraum schaffen wolle. Halter unterstützt die Mieterschaft, konnte einigen Nachfolgelösungen vermitteln.

Die privaten Eigentümer der Häuser an der Döltschihalde schreiben auf Anfrage, die meisten Installationen seien über 50 Jahre alt und die Liegenschaften würden aufgestockt, um mehr Wohnraum zu schaffen. «Um den Mietern die Suche nach einem neuen Zuhause zu erleichtern, wurde ihnen eine grosszügige Erstreckung angeboten.»

Claudia Keller und Edi Bürchler hatten Glück. Sie haben mittlerweile eine neue Wohnung gefunden.

«Rundschau»

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Rundschau, 23.04.2025, 20:10 Uhr;brus

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