Seit dem 1. Dezember dürfen in der Schweiz ganze Wolfsrudel geschossen werden, wenn eine Bewilligung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) vorliegt. Nun verzögern Beschwerden den Abschuss von fünf Wolfsrudeln. Hat das Bafu die Situation falsch eingeschätzt? Reinhard Schnidrig, Sektionschef Wildtiere und Artenförderung des Bafu, im Gespräch.
SRF News: Stand heute: Wie viele Wölfe wurden bis anhin geschossen?
Reinhard Schnidrig: So viele wie noch nie. Ich schätze, dass es bis zum Ende der Frist am 31. Januar 40 bis 50 Wölfe sein werden. Genauer kann ich es im Moment nicht sagen. Die Ergebnisse sollten uns Anfang Februar vorliegen und wir werden diese Zahlen anschliessend direkt kommunizieren.
Zurzeit dreht sich die Diskussion beim neuen Regelwerk um die Frage: Wie viel Schaden muss entstehen, damit man von ‹proaktiv› sprechen kann, damit man also eingreifen kann?
Zurzeit hat man den Eindruck, dass im Kanton Wallis mehr Wölfe geschossen werden als im Kanton Graubünden. Weshalb ist das so?
Jeder Kanton ist frei in seiner Organisation. Der Kanton Wallis hat sich gut vorbereitet und bei einigen Rudeln auch die Jägerschaft beigezogen. Generell war ich beeindruckt, wie gut das Monitoring in den Kantonen funktioniert. Sie kennen die Territorien der Wölfe, wo sie sich treffen, und so ist es auch einfacher, sie effizient zu erlegen. Im Graubünden ist die Topografie aber eine andere als im Wallis, das Gelände ist weitläufiger, die Wölfe zu schiessen anspruchsvoller. Grundsätzlich geht es nun darum, Erfahrungen beim Vollzug der neuen Jagdverordnung zu sammeln, diese auszutauschen und im Nachhinein zu analysieren.
Bei fünf der zwölf Wolfsrudel, die abgeschossen werden sollen, liegen derzeit Beschwerden vor, deren Jagd wurde gestoppt. Hat das Bafu die Gesuche nicht sorgfältig genug geprüft?
Dazu muss ich kurz erklären, was das Parlament mit der neuen Regelung bezweckt: Die Regelung soll in erster Linie sicherstellen, dass der Artenschutz gewährleistet ist. Wenn dies der Fall ist, haben die Kantone einen gewissen Spielraum, um dort einzugreifen, wo es Konflikte gibt. Der Bund nimmt dann eine summarische Beurteilung vor. Zurzeit dreht sich die Diskussion beim neuen Regelwerk um die Frage: Wie viel Schaden muss entstehen, damit man von «proaktiv» sprechen kann, damit man also eingreifen kann? Hier sind sich Naturschutzorganisationen mit dem Bund und den Kantonen nicht einig. Dass diese Diskussion nun von einem Gericht beurteilt wird, ist OK und gehört zu unserem System.
Sie haben immer davon gesprochen, dass es mindestens 20 Rudel in der Schweiz braucht, um den Artenschutz zu gewährleisten. Nun steht in der Verordnung, dass es bloss 12 sein müssen. Warum?
Wie hoch die Anzahl der Rudel sein muss, um den Artenschutz zu gewährleisten, wird derzeit diskutiert. Die Zahl 20 war eine Empfehlung, die in Absprache mit den anderen Alpenländern entstanden ist, um den Wolfsbestand im gesamten Alpenraum zu sichern. Die Zahl 12 ist aus dem politischen Prozess entstanden. Eine Verordnung ist immer auch ein politischer Entscheid.
Das Gespräch führte Simone Hulliger, Mitarbeit Géraldine Jäggi.