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Zank um «Arbeitsverweigerung» Nichteintreten im Bundeshaus: ein «Tiefpunkt parlamentaire»?

Das Nichteintreten ist eine Art parlamentarisches Stoppschild. Am Montag wollte es die Kommission gleich dreimal aufstellen.

Die Mühlen der Demokratie mahlen bekanntlich langsam. Bei manchen Geschäften scheint sich der politische Prozess sogar in Zeitlupe abzuspielen: Bundesrat und vorberatende Kommissionen erarbeiten Vorlagen, das Parlament berät und berät, bis es nach jahrelangen Kammerspielen heisst: Nichteintreten.

So geschehen am Montag: Gleich dreimal empfahl die Kommission den Räten, das parlamentarische Stoppschild aufzustellen. Zwei der Vorlagen drehten seit Jahren ihre Schlaufen durchs Bundeshaus. In den Räten entfaltete sich eine Grundsatzdebatte ums Nichteintreten.

1. Einführung von Sammelklagen

Eine Vorlage betraf eine Änderung in der Zivilprozessordnung. Vor elf Jahren hatte das Parlament den Bundesrat damit beauftragt, eine gesetzliche Grundlage zum kollektiven Rechtsschutz zu schaffen.

SP-Nationalrätin Nadine Masshardt konnte es nicht fassen, dass das Geschäft nach etlichen Zusatzschlaufen und Verzögerungen vom Tisch gefegt werden sollte. Das sei «Arbeitsverweigerung», sagte sie, ein «Tiefpunkt parlamentaire», doppelte Grünen-Nationalrätin Sophie Michaud Gigon nach.

Sammelklage: Darum geht es

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Der Fahrzeughersteller VW hatte bei seinen Dieselfahrzeugen die Software so manipuliert, dass sie im Test weniger Schadstoffe ausstiessen als auf der Strasse. 2015 kam der sogenannte Abgasskandal ans Licht. Weltweit forderten Umwelt- und Konsumentenschützer Schadenersatz vom deutschen Unternehmen – häufig mit Erfolg.

VW musste zum Beispiel in Österreich 23 Millionen Euro an 10'000 VW-Fahrerinnen und -Fahrer bezahlen. In der Schweiz gingen die 6000 Getäuschten leer aus. Das wäre – je nach Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs – künftig möglich.

Mitte-Nationalrat Philipp Matthias Bregy wollte davon nichts wissen: «Wir haben diese Vorlage an fünf Sitzungen diskutiert. Wir haben Zusatzabklärungen verlangt. Jetzt sind wir klar der Meinung: Diese Vorlage lässt sich nicht verbessern.» Der Rat trat nicht mehr auf die Vorlage ein.

Überfüllter Papierkorb vor Holzbank.
Legende: Der Nationalrat hatte den Gesetzesentwurf im Dezember noch gebilligt. Folgt ihm der Ständerat, ist die Vorlage beerdigt – und landet im Papierkorb. Keystone/Peter Klaunzer

2. Investitionsprüfgesetz alias «Lex China»

Ebenfalls vom Tisch sollte die sogenannte «Lex China». Es geht dabei um die Frage, ob Übernahmen von Schweizer Unternehmen durch ausländische Investoren strenger kontrolliert werden sollen. Der Bundesrat erarbeitete einen Gesetzesentwurf, den letzten Herbst noch eine deutliche Mehrheit im Nationalrat befürwortete. Doch die zuständige Ständeratskommission wollte nicht mehr.

«Lex China»: Darum geht es

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Soll der Staat das letzte Wort haben, wenn ausländische Investoren Schweizer Firmen übernehmen, die für die Sicherheit des Landes von Bedeutung sind? Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, weil China – deshalb wird dieses Gesetz auch «Lex China» genannt – weltweit wichtige Infrastrukturen und Unternehmen kauft, zum Beispiel 2017 den Basler Agrarchemiekonzern Syngenta. Erstmals aufs politische Parkett brachte die Thematik Mitte-Ständerat Beat Rieder mit einem Vorstoss 2018.

Mitte-Ständerat Beat Rieder plädierte dafür, doch endlich ein Gesetz zu machen, bevor der «Super-GAU» eintrete und mit Notrecht auf eine «volkswirtschaftliche Katastrophe» gehandelt werden müsse. Rats- und Parteikollege Peter Hegglin blies ins selbe Horn, «damit wenigstens darüber diskutiert werden kann».

Ständerat und FDP-Präsident Thierry Burkart entgegnete, in der Abwägung zwischen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen würden die Nachteile dominieren, welche die Einführung einer Investitionsprüfung zur Folge hätte. Doch Rieders Argumente schienen mehr zu überzeugen: Die Vorlage geht zurück an die Kommission.

3. Diskriminierung beim Familiennachzug

Anders erging es einer Vorlage, die die sogenannte «Inländerdiskriminierung» beim Familiennachzug aus Drittstaaten beseitigen wollte. Nachdem der Nationalrat noch im Juni 2024 einem entsprechenden Änderungsantrag zugestimmt hatte, versenkte er am Montag definitiv eine Anpassung im Ausländergesetz.

«Inländerdiskriminierung»: Darum geht es

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Heute haben Bürgerinnen und Bürger von EU-Staaten, die in der Schweiz leben und arbeiten, beim Familiennachzug mehr Rechte als Schweizer. Das Bundesgericht stellte das bereits im Jahr 2009 fest. Von dieser sogenannten «Inländerdiskriminierung» sind hauptsächlich ausländische Ehegatten von Schweizern sowie eingebürgerte Schweizer betroffen, die möchten, dass Angehörige aus ihren früheren Heimatländern zu ihnen ziehen können. Für sie gelten strengere Regeln als für EU-Bürger, weil für sie das Freizügigkeitsabkommen relevant ist und dieses beim Familiennachzug weniger strikt ist als das Schweizer Recht.

Die hauchdünne Mehrheit der zuständigen Kommission warnte vor einer unkontrollierten Einwanderung, sollte die Motion angenommen werden. Das «Risiko einer Mengenausweitung» sei hoch, sagte FDP-Nationalrat Peter Schilliger. «Gemessen an der Grössenordnung der Migration ist es eine vernachlässigbare Zahl von Personen», entgegnete der Aargauer Grünliberale Beat Flach.

Flach bat das Plenum, die «Frucht des Konsenses», wie es die Grüne Ratskollegin Delphine Klopfenstein Broggini formulierte, nicht abzuschiessen – vergeblich. Die Vorlage ist definitiv vom Tisch.

Echo der Zeit, 17.03.2025, 18:00 Uhr;stal

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