Gewisse Jugendliche schildern Schlaf- oder Essstörungen. Andere reden über depressive Verstimmungen und fehlende Motivation. Und manchmal erzählen die Schülerinnen in Gesprächen von familiären Problemen.
«Der Umgang mit Stress ist insgesamt ein sehr grosses Thema», sagt Isabelle Brechbühl. Die Schulsozialarbeiterin begleitet Zürcher Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Seit einem halben Jahr arbeitet sie Teilzeit am Kunstgymnasium Liceo Artistico.
Zum ersten Mal das Schweigen brechen
Das Liceo ist eines von sieben Zürcher Gymnasien, die Schulsozialarbeit anbieten. Begonnen hat dieses Pilotprojekt letzten Sommer. Der Kanton reagiert damit auf psychische Gewalt und Mobbing an Schulen. Denn laut einer Studie beobachten Lehrer auf allen Stufen solche Probleme.
In Zürcher Volksschulen sind sie häufiger auch mit physischer Gewalt konfrontiert. Gymnasiallehrerinnen hingegen berichten öfter, dass sich Schülerinnen und Schüler selbst verletzen. In solchen Fällen soll die Schulsozialarbeit Lehrer entlasten. Und Jugendliche unterstützen.
Am Liceo führt Isabelle Brechbühl mit den meisten Schülern vertrauliche Einzelgespräche. «Dabei erzählen mir manche, dass sie zum ersten Mal über ihr Problem reden.» Gewisse fühlen sich in der Klasse unwohl, andere melden sich wegen Sinnfragen.
Ist jemand in grosser Not, vermittelt die Schulsozialarbeiterin eine Fachperson. «Aber zum Glück braucht nicht jede jugendliche Person eine Therapie, wenn sie traurig oder demotiviert ist.» Bei manchen könnten zwei Sitzungen schon etwas bewirken. Andere begleitet die Schulsozialarbeiterin mit Unterbrüchen ein halbes Jahr lang.
Schnelle Hilfe für Lehrpersonen
Die Rückmeldungen der Jugendlichen sind laut Brechbühl positiv. «Sie sind froh, ihre Themen in einem geschützten, neutralen Raum deponieren zu können.» So müssten sie sich nicht an Kollegen und Lehrerinnen wenden.
In der Schweiz bieten schon länger gewisse Gymnasien Schulsozialarbeit an, andere Kantone möchten diese einführen. «Allerdings planen sie nicht eine so umfassende Begleitung, wie dies in Zürich der Fall ist», sagt Martina Good, Co-Präsidentin des Schulsozialarbeitsverbandes.
In Zürich sammeln Schulen wie das Liceo bis 2024 erste Erfahrungen. Danach sollen an allen Maturitätsschulen Schulsozialarbeiterinnen tätig sein. «Das Zürcher Pilotprojekt dürfte wichtige Erkenntnisse für den weiteren Ausbau innerhalb des Kantons liefern. Und nachfolgende Kantone könnten sich daran orientieren», sagt Good.
Zwei Millionen Franken kostet das Projekt, 500 Stellenprozente hat der Kanton Zürich insgesamt bewilligt. «Die zur Verfügung stehende Zeit ist etwas knapp berechnet», räumt Cinzia Vezzoni ein. Die Prorektorin des Liceo Artisticos wünscht sich in der Testphase ein höheres Pensum für Schulsozialarbeit. Schon heute lohne sich das Experiment aber: «Der Unterschied zu vorher ist, dass wir schneller und niederschwelliger Hilfe holen können.»
Diesen Eindruck bestätigt Isabelle Brechbühl. Im Alltag tauchten bei Lehrpersonen häufig Unsicherheiten auf, wenn ein Jugendlicher traurig wirke oder regelmässig im Unterricht fehle. «Uns können die Lehrpersonen unkompliziert solche Sorgen schildern und ihre Verantwortung teilen.» Gemeinsam würden nächste Schritte geplant. Nicht immer sei eine Sitzung mit dem betroffenen Jugendlichen nötig. Manchmal reiche es, die Lehrperson zu beraten.