Im Januar demonstrierten noch 400 Personen in Schwyz gegen die Einschränkungen, am 20. Februar versammelten sich bereits 1000 Teilnehmer in Wohlen. Letzten Samstag kam es zum neuen Höhepunkt von diesem Jahr: In Chur gingen 4000 Shutdown-Gegner auf die Strasse. Dies, obwohl der Bundesrat letzte Woche die Läden wieder geöffnet und weitere Lockerungen in Aussicht gestellt hat.
Der Politologe Michael Hermann, der die Stimmung in der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie untersucht, erklärt sich die Zunahme des Widerstands mit dem andauernden Ausnahmezustand: «Wir sind immer noch sehr weit weg von der Normalität, immer mehr Menschen sind von einer immer grösseren Belastung durch die Pandemie betroffen. Da ist es normal, dass der Widerstand trotz Lockerungen grösser wird», sagt er.
Priorität: Eskalationen verhindern
Die Demonstrierenden in Chur taten ihren Widerstand mit Parolen gegen die Massnahmen und den Bundesrat kund. Zudem hielten sich mit dem Lauf der Zeit immer weniger Teilnehmende an die Maskenpflicht. Dabei war das Tragen von Masken eine Auflage für die Durchführung der Veranstaltung. Die Polizei vor Ort schritt trotzdem nicht ein.
«Wir haben uns entschieden, nicht zu intervenieren, auch um Eskalationen zu verhindern», sagt Ueli Caluori, Kommandant der Stadtpolizei Chur. Man habe eine Güterabwägung gemacht und die Verhältnismässigkeit miteinbezogen. «Bei einer Veranstaltung dieser Grössenordnung ist die Wahrung der Sicherheit besonders wichtig», so Caluori. Darum zieht der Kommandant trotz Nichteinhaltung der Maskenpflicht eine positive Bilanz.
Wenn man die Gesetze gar nicht durchsetzt, beginnen sich die Leute zu fragen, ob die Gesetze freiwillig sind.
Auch Hermann betont, dass es in einer solchen schwierigen Situation ein gewisses Augenmass bei der Umsetzung von Regeln brauche. «Gewisse Gesetze sind im Einzelfall nicht durchsetzbar – die rigorose Umsetzung würde zu einer grösseren Eskalation führen.» Doch er warnt auch: «Wenn man die Gesetze gar nicht durchsetzt, beginnen sich die Leute zu fragen, ob die Gesetze freiwillig sind. Man spielt mit dem Feuer.»
Diskrepanz der Behörden
Applaus erntete die Zurückhaltung der Churer Stadtpolizei bei den Demonstrierenden letzten Samstag. Eine Rednerin lobte das Verhalten als diplomatisch, wie man es in der Schweiz von der Polizei halt kenne.
Ein ganz anderes Bild zeigte sich am Samstag in Zürich: An einer unbewilligten Demo anlässlich des Weltfrauentages nahmen mehrere hundert Personen teil. Hier wurde die Maskenpflicht eingehalten. Doch die Polizei ging rigoros mit Pfefferspray und Tränengas und gegen die Demonstrierenden vor. Es kam zu Sachbeschädigung durch Sprayereien.
Toleranter zeigte sich die Zürcher Polizei gestern: Sie begleitete eine weitere unbewilligte Kundgebung und löste sie nicht auf.