Drogen konsumieren und verkaufen. Schulden eintreiben – oft mit Gewalt. Was nach Gangsterfilm tönt, war Alltag des damals 15-jährigen Jugendlichen, den wir «Marco» nennen. «Bei den meisten Taten haben sie mich zum Glück nicht erwischt. Erwischt haben sie mich bei Körperverletzung, Drogenbesitz, Waffenbesitz, Nötigung, Drohungen.»
Dass man mit Gewalt nichts erreicht, wusste ich damals nicht.
Probleme habe er meistens mit seinen Fäusten gelöst. Und mit Fusstritten. «Ich dachte, wenn man dreinschlägt, ist man der Grösste. Aber man erreicht nichts mit Gewalt. Das weiss ich heute, doch damals wusste ich es nicht.» Seit seiner Verurteilung macht Marco in der Jugendstätte Burghof eine Malerlehre. In einer Therapie lernt er, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen.
Suche nach Identität und Status
Marco eckte früh an. Eine schwere Schulzeit, mehrere Schulverweise und Schulwechsel. Aufenthalte in Heimen. Eine abgebrochene Lehre. Schliesslich verkaufte er Drogen.
Zwar hilft man den Jugendlichen, die am Rand sind, in die Mitte zu kommen. Aber wer trotzdem durch die Netze fällt, hat es schwierig.
Viele gewalttätige Jugendliche hatten schon Probleme in der Kindheit. Doch das ist nichts Neues. Warum steigt die Jugendgewalt wieder an? Carmelo Campanello leitet den Burghof. Auf diese Frage gebe es keine einfache Antwort, sagt er. Einer der Gründe sei der steigende Leistungsdruck.
«Zwar hilft man den Jugendlichen, die am Rand sind, in die Mitte zu kommen. Aber wer trotzdem durch die Netze fällt, hat es schwierig. Mich überrascht nicht, dass sie schwerere Delikte begehen. Sie suchen Identität und Status – und sehen kaum eine Möglichkeit, einen Teil vom Kuchen zu bekommen. Mit Kriminalität erreicht man das vielleicht schneller.»
Ein Messer zu Selbstverteidigung – dann eskaliert es
An Wochenendnächten ist die Jugendpolizei St. Gallen auf Patrouille. Der Auftrag von Jugendpolizistin Fabienne Früh: Das Gespräch suchen mit Jugendlichen. Herausfinden, wo die Probleme sind. Den Jugendlichen Ratschläge geben. Sie spürt, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen zu- und die Frustrationstoleranz abnehme. Das habe sich während der Pandemie verstärkt.
«Jugendliche haben oft Messer dabei, um sich zu verteidigen – aber auch, um andere zu verletzen. Das ist momentan ein Trend.»
Zur Selbstverteidigung würden sich Messer allerdings schlecht eignen, warnt die Polizistin. Sie würden keine Sicherheit bringen, sondern schneller zur Eskalation führen.
Sinnvolle Resozialisation – oder Kuscheljustiz?
Das Schweizer Jugendstrafrecht setzt primär auf Erziehung und nicht auf Strafe. Viele Jugendliche im Burghof müssten wohl für Jahre ins Gefängnis, wenn sie die Straftaten nicht vor, sondern nach dem 18. Geburtstag begangen hätten. Im Burghof können sie sich relativ frei bewegen und eine Ausbildung absolvieren. Ist diese Massnahme nicht zu mild? Nein, sagt Heimleiter Campanello.
«Die Jugendlichen müssen sich mit meinen Mitarbeitenden auseinandersetzen. Von ihnen lernen sie wichtige Werte, die dazu sorgen, dass sie nicht nochmals Delikte begehen.»
Glaubt man Marco, dann ist er auf einem guten Weg: «Ich bin durch den Aufenthalt und die Therapie nicht ein anderer Mensch geworden. Aber ein Mensch mit anderen Ansichten und viel mehr Moral.»