Immer öfter haben die Behörden in der Schweiz mit Ehen von Minderjährigen zu tun – Eheschliessungen von unter 18-Jährigen sind hierzulande verboten.
Zwangsverheiratete kommen meist aus dem Nahen Osten, aus Asien oder Afrika. Sie wurden oftmals bereits in der alten Heimat verheiratet. Anlässlich einer Fachtagung in Bern wurde das Thema diskutiert. Worum es dabei geht, erklärt die Präsidentin der Fachstelle Zwangsheirat.
SRF News: Warum machen gewisse Familien Druck, damit ihre minderjährigen Mädchen heiraten?
Anu Sivaganesan: Je nach Herkunft hat man in der Familie gewisse Normvorstellungen in Bezug auf Sexualität und Jungfräulichkeit. Die Eltern gehen in den betroffenen Fällen davon aus, dass sie ihrer Verantwortung – dass die Tochter als Jungfrau in die Ehe geht – am ehesten nachkommen, wenn sie sie so früh wie möglich verheiraten. Auch wenn man nach anderen Ursachen von Minderjährigen-Verheiratungen sucht: Am Ende landet man immer beim Thema der Kontrolle der weiblichen Sexualität.
Es ist nicht einfach, diese Gruppen dafür zu sensibilisieren, dass solche Verheiratungen in der Schweiz verboten sind.
Was weiss man über Fälle in der Schweiz? Auch hier werden ja Minderjährige verheiratet – zwar nicht gesetzlich-offiziell, aber in religiösen Zeremonien.
Wir haben tatsächlich immer wieder mit solchen Fällen zu tun. Das sind meist religiöse oder traditionelle Eheschliessungen. Hier geht es darum, die betreffenden Gruppen dahingehend zu sensibilisieren, dass solche Verheiratungen in der Schweiz verboten sind. Denn hierzulande gilt das Primat der Ziviltrauung. Das ist nicht einfach, denn für die Gemeinschaften, welche die religiöse oder traditionelle Eheschliessung praktizieren, ist dies die richtige und einzige Form der Eheschliessung. Die zivile Trauung ist für sie höchstens ein administrativ nötiger Akt.
Religiöse und/oder traditionelle Heiraten haben keine Rechtsgültigkeit. Warum sind sie trotzdem ein Problem?
In der jeweiligen Gemeinschaft gelten die so verheirateten als Ehemann und Ehefrau, auch wenn die Heirat nach Schweizer Recht nicht gültig oder sogar verboten ist. Die Betroffenen können sich dann nicht mehr aus dieser «Ehe» lösen.
Mit welcher Art von Fällen hat Ihre Fachstelle Zwangsheirat/Minderjährigen-Heirat typischerweise zu tun – und wie gehen Sie in diesen Fällen vor?
Wir haben beispielsweise mit jungen Frauen zu tun, die ihre Träume – etwa, eine Ausbildung zu machen – nicht verwirklichen konnten, weil sie als Minderjährige in eine Ehe gezwungen wurden. Was wir in solchen Fällen unternehmen, hängt vom Einzelfall ab. Da gibt es keine allgemeingültige Vorgehensweise. Wichtig ist zuallererst, im Gespräch herauszufinden, wo das Problem liegt und wie akut es ist. Manchmal liegt eine Heiratsverschleppung ins Ausland vor, dann müssen die Schutzmassnahmen entsprechend ausgerichtet sein.
Mädchen kommen zu uns, deren Freiheit zuhause stark eingeschränkt wird – manche befürchten, schon bald zwangsverheiratet zu werden.
Manchmal geht es auch gar nicht um konkrete Zwangsheiraten, sondern es kommen Mädchen zu uns, die, nachdem sie in die Pubertät gekommen sind, zuhause spüren, wie die Kontrolle verstärkt und die Freiheit eingeschränkt wird. So wird etwa ihr Handy kontrolliert und sie müssen ständig Rechenschaft über ihr Tun ablegen. Manche von diesen Mädchen befürchten, dass sie schon bald einmal in die Situation einer drohenden Zwangsverheiratung kommen könnten.
Das Gespräch führte Elmar Plozza.