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Belarus-Prozess in St. Gallen: Angeklagter begründete Widersprüche mit Übersetzungsfehlern
Aus Echo der Zeit vom 19.09.2023. Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller
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Zweifel vor St. Galler Gericht Belarus-Fall: Lukaschenko-Gehilfe mit widersprüchlichen Aussagen

Das Kreisgericht Rorschach steht im Fokus internationaler Medien und der internationalen Politik. Rund 30 Medienschaffende aus dem In- und Ausland waren in St. Gallen zugegen, als der mutmassliche Lukaschenko-Gehilfe vor dem Gerichtsgebäude ankam. Hinzu kamen Vertretende von Menschenrechtsorganisationen und auch zwei Privatklägerinnen, Töchter der verschwundenen Oppositionellen.

Der Angeklagte aus Belarus schien sich am ersten Prozesstag in seinen Aussagen in Widersprüchlichkeiten zu verstricken. Der Richter zweifelte offenkundig an dessen Aussagen. Die Befragung dauerte den ganzen Vormittag. Der Richter strich Widersprüche aus früheren Befragungen hervor. Der Angeklagte begründete diese mehrfach mit Übersetzungsfehlern.

Darum steht der Lukaschenko-Gehilfe in St. Gallen vor Gericht

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Der Fall wird am Kreisgericht Rorschach behandelt. Aus Platzgründen findet die Verhandlung aber in den Räumlichkeiten des Kantonsgerichts St. Gallen statt. Denn: Der Fall schlägt Wellen über die Landesgrenzen hinaus. Der Straftatbestand des Verschwindenlassens geht auf ein UNO-Abkommen zurück und wird so in der Schweiz und in Europa zum ersten Mal behandelt.

Was ist passiert? Ende der 90er-Jahre kam es in Weissrussland zu Protesten. Die Bevölkerung demonstrierte gegen die Diktatur von Alexander Lukaschenko. Drei Oppositionelle verschwanden 1999 spurlos, darunter der ehemalige Innenminister Juri Sacharenko. 20 Jahre lang wusste niemand, was mit den Oppositionellen geschehen war.

NGO spürte ihn in der Ostschweiz auf

Dann trat ein Mann in einem Dokumentarfilm der «Deutschen Welle» auf und sagte, die Männer seien tot. Er wisse das, weil er als Mitglied einer Spezialeinheit an deren Ermordung beteiligt gewesen sei. Hätte er sich geweigert, mitzumachen, so wäre auch er erschossen worden.

Dieser Mann, der nun angeklagt ist, befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Ostschweiz und wurde von Nichtregierungsorganisationen aufgespürt und angezeigt. Rund ein Jahr zuvor hatte er in der Schweiz Asyl beantragt.

Der Angeklagte soll Teil einer belarussischen Spezialeinheit gewesen sein. So zumindest lauteten die Aussagen des mutmasslichen Delinquenten. Aufgrund der Erzählungen, wonach Entführungen und Morde unvorbereitet durchgeführt wurden, stellte der Richter ein Fragezeichen hinter die Professionalität der Spezialeinheit.

Noch gegenüber dem Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte er gesagt, die Aktionen seien wochenlang vorbereitet worden. «Ein Widerspruch», sagte der Richter. Die Antwort des Angeklagten: «Ich habe das nicht gesagt.» Darüber hinaus bestritt er weitere Aussagen, die er gegenüber dem SEM gemacht hatte.

Angeklagter bat um Entschuldigung

Auch sprach das Gericht den Angeklagten auf eine Verurteilung und eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Erpressung in Belarus nach der Jahrtausendwende an. «Sie waren nicht nur der Superagent, sondern auch ein gewöhnlicher Krimineller», so der Richter.

Zum Schluss der Befragung sagte der mutmassliche Lukaschenko-Gehilfe: «Ich bitte die Angehörigen um Entschuldigung. Ich bereue meine Taten zutiefst.» Neben der NGO erstatteten auch andere Nichtregierungsorganisationen sowie Angehörige der Opfer Anzeige.

Auch Staatsanwalt bemerkte Ungereimtheiten

Der Staatsanwalt erachtete das Geständnis des Beschuldigten als glaubwürdig, auch wenn er darauf hinwies, dass ihn der heutige Auftritt habe zweifeln lassen. Zum Beispiel, weil Aussagen zu Fakten, die mit Datum belegt seien, sich nicht decken würden. Der Eindruck sei zwiespältig, im Kern würden die Aussagen aber übereinstimmen, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.

Er sieht die Beteiligung an der Tat als erwiesen an, weil die Widersprüche Nebenschauplätze betreffen würden. Die Staatsanwaltschaft beantragte deshalb die Verurteilung wegen mehrfachen Verschwindenlassens einer Person. Das Strafmass sollen drei Jahre Freiheitsstrafe sein, wovon eines unbedingt zu vollziehen sei. Einen Landesverweis soll es nicht geben.

Anwalt fordert zusätzlich eine Genugtuung

Der Anwalt der Töchter der verschwundenen Oppositionellen äusserte sich in seinem Plädoyer nicht nur zu den Taten, sondern auch zu den Strukturen in Belarus. Eine parlamentarische Untersuchung des Europarates habe gezeigt, dass die drei Oppositionellen wohl umgebracht worden seien.

Die ganze Welt habe scheinbar gewusst, was passiert war. Und trotzdem seien die Täter nie verurteilt worden, sondern seien in Belarus weiter an der Macht, trug der Anwalt die Gedanken einer Tochter vor. Er beantragte ebenfalls einen Schuldspruch. Zudem forderte er für die beiden Töchter je eine Genugtuung von 200'000 Franken plus Zinsen. Am Mittwoch wird der Prozess mit dem Plädoyer der amtlichen Verteidigerin fortgesetzt.

Echo der Zeit, 19.09.2023, 18:00 Uhr ; 

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