Das Parlament debattiert in der laufenden Session über die Umsetzung des Zweitwohnungs-Artikels in der Verfassung. Bemerkenswert: In letzter Minute haben die Initianten sowie die Fraktionsspitzen von SVP und FDP eine Kompromisslösung ins Spiel gebracht. Die CVP dagegen – sie zählt vor allem in den Berg- und Tourismuskantonen auf eine treue Wählerschaft – bleibt aussen vor.
SRF: Überrascht Sie diese Kompromiss-Bereitschaft der SVP?
Georg Lutz: Ich war schon etwas verwundert, als ich diese Nachricht gehört habe. Die SVP ist in den vergangenen Jahren ja nicht damit aufgefallen, dass sie den Kompromiss mit anderen Parteien gesucht hat oder auf diese zugegangen ist. Im Gegenteil: Sie hat sich immer wieder aktiv von den anderen Parteien abgegrenzt. Dass sie jetzt mit einem Komitee, das sie vor einigen Jahren im Abstimmungskampf noch sehr heftig bekämpft hatte, federführend einen Kompromiss schmiedet – das ist eine Überraschung.
Wo sehen Sie die Gründe für diese Kompromissbereitschaft?
Es gibt zwei Lesarten. Die eine ist, dass die SVP tatsächlich an einer Lösung interessiert ist und rasch Rechtssicherheit beim Zweitwohnungsbau haben will. Die andere ist, dass es Taktik ist: Es ist ein Wahljahr und es geht um die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Ich halte die zweite Begründung für einiges plausibler.
Wo ist denn der Zusammenhang zwischen Zweitwohnungs- und Masseneinwanderungs-Initiative?
Die SVP hat bei der Masseneinwanderungs-Initiative – und übrigens auch bei den anderen Initiativen, die sie gewonnen hat – sehr konsequent die Position aufgebaut: «Wir vertreten das Volk». Demgegenüber würden der Bundesrat, das Parlament und die anderen Parteien den Volkswillen nicht umsetzen. Das ist der SVP teilweise auch gelungen. Wenn nun die SVP bei der Zweitwohnungs-Initiative allzu offensichtlich dazu bereit gewesen wäre, einer sehr starken Verwässerung Hand zu bieten, dann hätte das argumentativ – in einem Wahljahr – wohl eine allzu starke Pirouette bedeutet. Diese Flanke wollte sich die SVP offensichtlich nicht auftun.
Die SVP zeigt sich also kompromissbereit – ihrer Ansicht nach aus Wahltaktik. Könnte es sein, dass diese Kompromissbereitschaft eine längerfristige Wirkung haben könnte?
Die SVP ringt etwas damit, auf der einen Seite scharfe Positionen öffentlich zu markieren, oft gegen die anderen Parteien und den Bundesrat. Anderseits merkt sie aber auch, dass es schwierig ist, für ihre Anliegen Mehrheiten zu finden, wenn sie im Parlament grundsätzlich nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Bisher hat das die SVP nicht gross gestört. Sie hat mit den Niederlagen sehr gut leben können. Und wenn ich mir das Wahlprogramm ansehe, das die Partei am Wochenende verabschiedet hat, kann ich keine grundsätzliche Kehrtwende erkennen. Die SVP schiesst immer noch scharf gegen die anderen Parteien und gegen den Bundesrat. Deshalb denke ich: die Kompromissbereitschaft bei der Zweitwohnungs-Initiative hat einen spezifischen Grund, nämlich die Umsetzung ihrer eigenen Masseneinwanderungs-Initiative. Darum hat sie nun Hand geboten.
Dann hat dies auch nichts mit dem «bürgerlichen Schulterschluss» zu tun, den die SVP mit der FDP und der CVP anstrebt?
Dieser «Schulterschluss» war schon immer eine eher rhetorische Position. Erst am Wochenende haben wir Analysen gesehen, die zeigen, dass die SVP sehr häufig nicht mehr mit den anderen bürgerlichen Parteien zusammen stimmt und sich von ihnen abgrenzt. Auch beim jetzigen Kompromiss zur Zweitwohnungs-Initiative gibt es ja keinen bürgerlichen Schulterschluss: die CVP ist nicht mit an Bord. Die FDP und die SVP haben den Kompromiss mit den Initianten ausgehandelt – gegen den Willen der CVP.