Erdöl hat die Schweiz unglaublich weiter gebracht – doch jetzt ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Das war der Tenor an einer Veranstaltung der Schweizerischen Energie-Stiftung mit Experten diverser Fachrichtungen zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern in Zürich.
Einfach wird dieser Ausstieg nicht. Ist die Schweiz doch nach wie vor stark abhängig, vor allem vom Öl – abhängiger noch als Deutschland, Frankreich und viele weitere europäische Länder.
Der Aufstieg des Erdöls hat erst nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Und mit dem Erdölkonsum ging das Wirtschaftswachstum durchs Dach. Dadurch sei eine Abhängigkeit entstanden, eine Sucht, meint der Sozialpsychologe Harald Welzer.
Gewissermassen als Ergebnis der «fossilen Kultur» habe sich die Lebenserwartung fast verdoppelt, die Gesundheits-, Sozial- und Bildungssysteme hätten sich entwickelt und die extreme Armut früherer Zeiten sei verschwunden: «All das erzeugt Abhängigkeit», erklärt Welzer.
Ungestillter Hunger
Laut vergleichsweise konservativen Zahlen des Erdölkonzerns BP stammen rund 50 Prozent unserer Energie heute aus fossilen Energieträgern. Der Grossteil, fast 40 Prozent, aus Erdöl. Das ist mehr als in vielen Nachbarländern – weil in der Schweiz keine Kohle gefördert wird und das Land nicht direkt an grosse Gaspipelines angebunden ist.
Da Fortschritt mit Erdöl gleich gesetzt werde, sei die Angst gross vor Veränderungen, vor Verzicht, meint Sozialpsychologe Welzer. Dabei brächte etwa der Verzicht aufs Auto viele Vorteile, die bisher unterschätzt würden.
Als Volkswirtschaft würde uns der Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2050 etwa 1000 Milliarden Franken günstiger kommen.
Auf einer anderen Schiene argumentiert der Unternehmer und ETH-Dozent Anton Gunzinger. Er hat berechnet, dass die Schweiz mit einem Ausstieg aus den fossilen Energieträgern vor allem sparen könnte: «Als Volkswirtschaft würde uns das bis 2050 etwa 1000 Milliarden Franken günstiger kommen. Das wären rund 30 Milliarden pro Jahr.»
Erdöl-Exporteure bangen um ihre Pfründe
Massive Investitionen in erneuerbare Energien im Inland lohnen sich – laut Gunzinger – weil die Milliardenzahlungen an die erdölliefernden Länder wegfallen würden. Diese haben an solchen Plänen und Entwicklungen natürlich keine Freude.
Das weiss die Ökonomin Cornelia Meyer aus erster Hand, die auch für die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) Beratungsmandate innehat. Auch der Branche sei klar, dass eine klimafreundliche Zukunft nur mit deutlich weniger fossiler Energie möglich ist: «Aber sie weiss auch, dass es ein globales Bevölkerungswachstum gibt und wir irgendwann bei neun Milliarden sind.»
Die Schweizer könnten zwar konsequent sein, sagt Meyer. Aber: «Sie wissen auch, dass andere nicht konsequent sind.» Die internationale Energieagentur gehe derzeit davon aus, dass die Nachfrage nächstes Jahr um 1.3 Millionen Fass Erdöl pro Tag steige: «Selbst bei einem schwächeren Wirtschaftswachstum.»
Der politische Kampf darum, ob und wie schnell das fossile Zeitalter nach 200 Jahren in der Schweiz zu Ende geht, wird an Intensität wohl zunehmen.