Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse stösst der Bundesrat auf Zustimmung. Alexander Keberle, der Leiter Energie, Infrastruktur und Umwelt, begründet dies damit, dass die Schweiz bis ins Jahr 2050 ihre Stromproduktion verdoppeln müsse.
Das sei zentral für die Haushalte, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, sagt Keberle und: «Wir können es uns leider nicht leisten, auf einzelne wichtige Technologien zu verzichten.»
Bis 2050 bringt die Kernkraft kaum mehr Strom
Allerdings räumt Alexander Keberle ein, dass die Kernkraft bis 2050 kaum einen zusätzlichen Beitrag zur Schweizer Stromproduktion leisten wird. Planung und Bau neuer AKWs würden deutlich länger dauern. Trotzdem sei es sinnvoll, die Option Kernkraft langfristig offenzuhalten. China investiere stark in die Kernkraft, auch verschiedene europäische Länder und die USA würden wieder auf die Technologie setzen.
Da müsse sich die Schweiz gut überlegen, ob sie die Option im Vorhinein ausschliessen wolle. «Es ist ein bisschen wie wenn man auf der Autobahn fährt und einem 50 Autos entgegenkommen. Da kann man sich fragen, ob alle anderen falsch fahren oder ob man eventuell selbst falsch abgebogen ist.»
Lenkt die Atom-Diskussion ab oder nicht?
Kernkraftkritikerinnen und -kritiker betonen demgegenüber, die Schweiz habe neue Kernkraftwerke nicht nötig. Sie sind überzeugt, die Schweiz werde auch nach der Ausserbetriebnahme der vier bestehenden Kernkraftwerke mit der Wasserkraft genügend Produktionskapazitäten haben, um Schwankungen der anderen erneuerbaren Energiequellen auszugleichen. Nils Epprecht, der Geschäftsleiter der Schweizerischen Energiestiftung, findet die Diskussion um neue AKWs grundsätzlich falsch. «Sie lenkt ab. Wenn wir deswegen weniger in Sonne und Wind investieren, wäre das fatal.»
Dem widerspricht Michael Frank, der Direktor des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätswerke. Die Pipeline an Projekten der Sonnen-, Wind- und Wasserkraft sei derzeit bei vielen Energieproduzenten sehr voll. «Die Branche will und wird diese Projekte umsetzen. Da wird kein Geld abgezügelt», bekräftigt Michael Frank.
Fragliche Investitionssicherheit
Aber ist die viel beschworene Investitionssicherheit noch gegeben, wenn die Politik nun plötzlich will, dass Kernkraftwerke wieder eine Option werden, nachdem sie jahrelang das Gegenteil gewollt hat? Michael Frank zuckt mit den Schultern.
Die Branche habe schon heute keine Investitionssicherheit, klagt er: «Wenn man für einen Windpark mit einer Realisierungszeit von 15 Jahren rechnen muss, wenn Wasserkraftwerke über 20 Jahre blockiert werden, dann ist das ist auch keine Investitionssicherheit. In diesem Sinn kriegen wir nicht mehr Ungewissheit, als wir schon heute haben.»
Die Erfahrung fehlt
Die Meinungen gehen also weit auseinander darüber, ob die Schweiz wirtschaftlich auf neue Kernkraftwerke angewiesen ist, aber auch darüber, ob und wie Kernkraftwerke in der Schweiz je wirtschaftlich betrieben werden können. Beide Seiten stützen sich gezwungenermassen auf teils wacklige Annahmen, weil zum Ausbau der Kernkraft bisher weltweit vor allem Pläne und Ankündigungen existieren und – ausser in China – kaum neue AKWs tatsächlich gebaut werden.