Die chinesische Metropole Schanghai gleicht in diesen Tagen einer Geisterstadt. Wegen Corona gilt seit zwei Wochen in weiten Teilen der Stadt ein strikter Lockdown. Viele der 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Das wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus, wie SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi berichtet.
SRF News: Welche Folgen hat der Lockdown für die Wirtschaft, insbesondere für die Autoindustrie?
Martin Aldrovandi: Die Werke müssen immer wieder ihren Betrieb einstellen. Nicht nur in Schanghai, sondern auch in Nordostchina, so etwa in der grossen Autostadt Changchun. Zudem fehlen wegen des Lockdowns Arbeiterinnen und Arbeiter. Und dort, wo noch gearbeitet werden kann, müssen die Leute in der Fabrik bleiben und dürfen nicht nach Hause. Oder es fehlen Angestellte, weil diese zu Hause im Lockdown sind.
Diese ganze Unsicherheit dauert weiter an und beeinträchtigt natürlich auch die Industrie.
Dazu kommt die Logistikkette, die unterbrochen ist. Wegen der verschiedenen Lockdowns können Güter gar nicht oder nur sehr schwer transportiert werden. Für alles braucht es eine Bewilligung – zwischen den Provinzen und Städten, und sogar innerhalb von Schanghai. So brauchen etwa Lastwagenfahrer, die Waren von einem Stadtteil in den anderen transportieren wollen, eine spezielle Bewilligung. Es ist also alles sehr kompliziert.
In Schanghai gibt es den weltgrössten Hafen. Welche Auswirkungen hat der Lockdown auf ihn?
Der Hafen selbst ist noch in Betrieb. Aber die Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen das Gelände nicht verlassen. Offenbar stauen sich die Schiffe, es kommt zu vielen Verzögerungen. Das Problem ist vor allem, dass Fabriken und Lagerhallen geschlossen sind und die Logistik an Land vielerorts unterbrochen ist. Es staut sich alles zurück. Das hat auch auf den Hafen Auswirkungen. Offenbar haben die Volumen, die vom Hafen abgefertigt werden, stark abgenommen.
Zeichnet sich ein Ende des Lockdowns in Schanghai ab?
Jein. Es wurde in Aussicht gestellt, dass einzelne Siedlungen, die über einen längeren Zeitraum keine positiven Fälle haben, eine Öffnung beantragen können. Seit heute wurden in einer ganzen Reihe von Vierteln und Siedlungen die Massnahmen gelockert. Sobald dort aber wieder Fälle auftauchen, können die Lockerungen wieder zurückgenommen werden.
Es wird sehr lückenhaft kommuniziert vonseiten der Behörden. Es gibt viele Widersprüche und Gerüchte. Manchmal heisst es, diese stimmen nicht, andere Gerüchte bewahrheiten sich wiederum. Den Leuten bleibt nicht viel anderes übrig, als auf ihren sozialen Medien zu schauen, was passieren könnte.
Ich selbst bin immer noch zuhause eingesperrt und mein Bürogebäude ist auch im Lockdown.
Ursprünglich hiess es ja auch, dass es keinen Lockdown geben wird. Dann wurde er auf fünf, sechs Tage veranschlagt. Nun ist er unbefristet. Ich selbst bin immer noch zu Hause eingesperrt und mein Bürogebäude ist auch im Lockdown. Wann Schanghai wieder seinen normalen Betrieb aufnimmt, kann niemand sagen.
Könnte sich Peking bald von seiner Null-Covid-Politik verabschieden?
Das haben wir immer wieder gedacht. Diverse Expertinnen und Experten haben mir auch wiederholt gesagt, dass die Regierung diese Null-Covid-Strategie gar nicht so lange beibehalten kann, weil sie der Wirtschaft schadet. Aber offenbar wird Pekings Strategie unvermindert fortgesetzt.
Ich sehe noch kein Ende der Null-Covid-Strategie.
Schanghai hat ja versucht, mit etwas lockereren Massnahmen dagegenzuhalten. Das hat nicht funktioniert. Aber die Zentralregierung hat vor zwei Wochen erneut durchgegriffen – und jetzt herrscht ein strenger Lockdown. Ich persönlich sehe noch kein Ende dieser Null-Covid-Strategie.
Das Gespräch führte Tobias Bühlmann.