Nach dem Aus der deutschen Regierung ist vieles unklar: Wann kommt es zu Neuwahlen? Wer wird danach regieren? Diese Unsicherheit wirkt sich auch auf die Schweiz aus, denn Deutschland ist einer unserer wichtigsten Handelspartner. Was die Regierungskrise aus Schweizer Sicht bedeutet, erläutert Ökonomieprofessor Klaus Wellershoff.
SRF News: Was überwiegt bei Ihnen – sind Sie eher erleichtert, dass jetzt Klarheit herrscht, oder überwiegt die Sorge vor dem, was da kommen mag?
Klaus Wellershoff: Es scheint sicher, dass es in Deutschland bald zu Neuwahlen kommt, auch wenn noch unklar ist, wann diese abgehalten werden. Die Wahlen werden aber erneut keine klaren Mehrheiten bringen, es wird wohl wieder zu langwierigen Koalitionsverhandlungen kommen. Und in welche Richtung das neue Regierungsprogramm gehen wird, wissen wir heute nicht.
Die Unsicherheit ist grösser geworden.
Die aktuelle Regierung ist handlungsunfähig, ein Unterstützungsprogramm für die deutsche Wirtschaft ist nicht in Sicht. Damit ist die Unsicherheit grösser geworden. Wir müssen jetzt mit einem monatelangen Trauerspiel rechnen.
Die Schweiz ist wirtschaftlich eng mit Deutschland verflochten. Erwarten Sie hier Veränderungen?
Nein – dazu sind die Verflechtungen zu eng. Und was die Konsumenten in Deutschland bedrückt, bedrückt in der Regel auch die Konsumentinnen in der Schweiz. Deutschland ist und bleibt das mit Abstand wichtigste ausländische Gebiet für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz.
Für die Schweiz ist die Regierungskrise in Berlin gerade im jetzigen Moment eine dumme Entwicklung.
Was bedeutet das im Zusammenhang mit der Regierungskrise in Berlin?
Die Nachfrage aus Deutschland nach Schweizer Produkten wird zunächst eher sinken, weil der Aufschwung in Deutschland tendenziell eher nach hinten verschoben wird. Zudem könnte es für die Schweiz während des monatelangen Wahlkampfs eher schwierig werden, sich für politische Anliegen – Stichworte Binnenmarkt und Verhältnis zur EU – in Berlin Gehör zu verschaffen. Für die Schweiz ist das gerade im jetzigen Moment eine dumme Entwicklung.
Worauf muss sich die Schweizer Wirtschaft also einstellen?
Sie muss mit weniger Wachstum rechnen. Derzeit haben wir Vollbeschäftigung, aber keine Überhitzung, darum ist die Inflation tief. Und wenn die Wirtschaft in Deutschland in den letzten Jahren ebenso gut gelaufen wäre wie jene Italiens, Frankreichs oder der USA, wäre das Wirtschaftswachstum in der Schweiz um bis zu 1.5 Prozent höher ausgefallen.
Je nach Wahlergebnis könnte der Franken stärker werden – das würde das Wachstum belasten.
Und: Je nachdem, was bei den Wahlen in Deutschland herauskommt, besteht die Gefahr, dass der Franken gegenüber dem Euro noch stärker wird. Dann hätten wir in der Schweiz zwar eine tiefe Inflation, aber es würde das Wachstum belasten.
Was würde sich die Schweizer Wirtschaft wünschen?
Klarheit. Doch es scheint unwahrscheinlich, dass dies nach den Neuwahlen in Deutschland besser wird. Das einfachste wäre eine grosse Koalition aus Union und SPD, doch laut aktuellen Umfragen würde eine solche Koalition gar nicht auf die nötige absolute Mehrheit kommen. Ausserdem kennen wir eine grosse Koalition aus der Zeit vor der Ampelregierung – sie hat nicht nur keine Stricke zerrissen, sie hat den aktuellen Schlamassel in Deutschland wohl verursacht.
Stabilität wäre also das Wichtigste?
Der grösste Wunsch der Schweizer Wirtschaft ist, dass Deutschland wirtschaftlich wieder zu wachsen beginnt. Aber das wird wohl erst dann der Fall sein, wenn es stabile politische Verhältnisse gibt.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.