Folgende Annahme: Zwei Geschwister streiten sich um das Erbe des Vaters, das auch Kryptowährungen umfasst.
Jener der beiden, der den Zugriff auf diese Währungen hat, könnte das Vermögen für sich behalten. Es wäre nicht sicher, ob der andere Geschwisterteil dagegen vorgehen könnte.
Kein Eigentum an Bitcoins
Juristin Cordula Lötscher bereitet diese unklare Rechtslage Kopfzerbrechen. Kryptowährungen fallen juristisch zwischen Stuhl und Bank. «Bitcoins sind keine Sachen», sagt sie. Deshalb gebe es auch kein Eigentum an Bitcoins.
Hinzu kommt: «Wir haben auch keine Forderungen in Bezug auf Bitcoins. Wir haben keine Bank, bei der wir eine Forderung geltend machen könnten.»
Banken auszuschalten ist die Idee hinter der Blockchain, auf denen Währungen wie Bitcoin basieren. Das wird allerdings zum Manko, wenn man versucht, sie juristisch zu fassen.
Cordula Lötscher hat ein Buch über digitalen Nachlass geschrieben und darin dem Vererben von Kryptowährungen ein Kapitel gewidmet. Dass unklar ist, ob digitale Währungen vom Erbrecht umfasst werden, bringt Risiken mit sich.
Pflichtteil umgehen
«Wenn wir sagen würden, Kryptowährungen fallen nicht unter das Erbrecht», führt Cordula Lötscher aus, «dann könnte man faktisch sein ganzes Vermögen in Kryptowährungen anlegen und – am Erbrecht vorbei – das Geld den Leuten geben, denen man es geben möchte». Das heisst, man müsste sich nicht an den gesetzlichen Pflichtteil halten.
Cordula Lötscher fordert deshalb, das Erbrecht zeitgemäss auszulegen. In ihren Augen wäre es unhaltbar, wenn Kryptowährungen nicht unter das Erbrecht fielen. Ihr Vorschlag: eine ganzheitliche zivilrechtliche Lösung, welche die Rechtsbeziehung des Inhabers der Kryptowährungen zu seinen Kryptowährungen regelt.
Eines kann das Erbrecht aber nicht: den Erben zum Digitalgeld verhelfen, wenn sie den Zugang nicht kennen. Laut Bitcoin-Berater Marc Steiner sollte sich jeder, der Kryptowährungen hält, mit dem Fall der Fälle auseinandersetzen.
Man kann niemanden anrufen und sagen: Bring mir meine Kryptowährungen zurück
Marc Steiner unterrichtet unter anderem an der Hochschule für Wirtschaft Zürich die Grundlagen von Kryptowährungen. In Gesprächen mit der Szene stelle er immer wieder fest, dass sich kaum jemand über das Vererben Gedanken mache.
Er sagt: «Niemand will sich mit dem Nachlass beschäftigen. Aber es ist ein enorm wichtiges Thema. Denn man kann nicht jemanden anrufen und sagen, meine Kryptowährungen sind weg, bitte bring sie mir zurück. Sondern man muss sich wirklich aktiv darum kümmern und sich Gedanken machen.»
Das heisst zweierlei:
- Kryptowährungen brauchen einen sicheren Aufbewahrungsort.
- Die Erben müssen von ihnen wissen.
Für die Aufbewahrung schlägt Steiner zwei Möglichkeiten vor: Entweder man nutzt einen Dienstleister wie eine Bank oder einen Broker, der die Kryptowährungen verwahrt. Oder man sichert sie bei sich zu Hause.
Eine Möglichkeit für zu Hause ist ein sogenanntes Hardware-Wallet, das den Zugang zum Kryptovermögen ermöglicht. Dieses sollte an einem sicheren Ort hinterlegt werden, etwa in einem Safe.
Passwörter auf einer Metallplatte
Svenja Bakmeier hat diesen Weg gewählt. Sie hat Anfang des Jahres begonnen, in Bitcoin zu investieren und sich dabei von Marc Steiner beraten lassen. Obwohl sie erst 22 Jahre alt ist, hat sie bereits in mehrfacher Hinsicht vorgesorgt.
Ihre Anteile sind auf einem Hardware-Wallet gespeichert. Sollte dieses Gerät beschädigt werden, kann ein neues Wallet mit einer Reihe von Passwörtern, «Seed Phrase» genannt, wiederhergestellt werden.
Diese Passwörter hat Svenja Bakmeier sogar auf eine Metallplatte stanzen lassen: «Wenn zum Beispiel die Wohnung abbrennen würde, wäre die Papierkarte mit den ‹Seed Phrase› verbrannt. Meine Passwörter, die zu dem Backup gehören, hätte ich dann nicht mehr», erklärt sie. Metall sei aber feuersicherer.
Achtseitiger Nachlassplan
Die Angestellte einer Bank hat einen achtseitigen Nachlassplan geschrieben: «Ich habe zusammengestellt, was ich an Kryptowährungen habe und auf welchen Börsen ich angemeldet bin.»
Notiert ist auch, welches Hardware-Wallet sie besitzt, wo es zu finden ist und wo ihre «Seed Phrase» aufgeschrieben ist. In Bakmeiers Nachlassplan steht Schritt für Schritt, was ihre Erben tun müssen, um an die Bitcoins zu kommen.
Auch wenn man den Weg über eine Bank oder einen Broker wählt, gilt Vorsicht beim Nachlass. «Viele dieser Börsen oder Broker sind im Ausland, in Asien, den USA oder anderen Ländern», sagt Marc Steiner.
Man müsse sich überlegen: «Wissen die Erben, dass es diese Plattformen gibt und dass dort Kryptowährungen gelagert sind? Eine UBS, eine CS, eine Raiffeisen, eine Post – da weiss man schnell einmal, dass jemand dort ein Konto hat.» Auf diese Banken könne man zugehen als Erbe oder Erbin. Aber bei Anbietern im Ausland könne das schwierig sein.
Mit ihrem Nachlassplan sollten Svenja Bakmeiers Erben davor geschützt sein, was jenen des US-Unternehmers Matthew Mellon passierte.
Mellon hatte früh zwei Millionen US-Dollar in die Kryptowährung XRP (Ripple) investiert, deren Wert in den folgenden Jahren stark stieg. Allerdings hatte er niemandem vom Aufbewahrungsort seiner Zugänge erzählt, als er Anfang 2018 unerwartet starb.
Seine Erben bekamen nichts davon. Zum Zeitpunkt von Mellons Tod war sein XRP-Vermögen zwei Milliarden Dollar wert.