Es sei sehr realistisch, dass der Raiffeisen-Verwaltungsrat die Entlastung der Verwaltungsräte heute an der Delegiertenversammlung nicht zur Abstimmung bringe. Das hiess es gestern am Hauptsitz der Genossenschaft in St. Gallen.
Denn: Ist die Décharge einmal erteilt, haften Verwaltungsräte nicht mehr für das, was im vergangenen Geschäftsjahr geschehen ist. Eine Überraschung ist es deshalb nicht, dass der Verwaltungsrat einen Rückzieher plant und die Décharge-Abstimmung auf den November verschiebt. Denn in den 225 Genossenschaftsbanken brodelt es.
Harsche Kritik am Verwaltungsrat
Nachdem diese Woche die Finanzmarktaufsicht Finma die finanziellen Machenschaften des ehemaligen Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz öffentlich gemacht hat, gehen die Wogen noch höher als zuvor. Das System Pierin Vincenz sei nur möglich gewesen, weil der Verwaltungsrat diesen nicht kontrolliert habe, stellte die Finma klipp und klar fest.
Unter diesen Umständen von den Delegierten heute die Entlastung für das letzte Geschäftsjahr zu verlangen, würde mit grosser Sicherheit nicht gelingen.
Nicht alle Anträge traktandiert
Viele der 164 Delegierten sind aber noch aus anderen Gründen sauer auf die Raiffeisen-Führung: Die Chefs haben nicht alle eingereichten Anträge – rekordverdächtig hohe 68 an der Zahl – traktandiert.
In einem Brief an die Delegierten, der Radio SRF vorliegt, erklärt Verwaltungsratspräsident Pascal Gantenbein, wieso man nicht auf alles eingehen könne: Viele Delegierten haben dafür kein Verständnis und dürften sich heute an der Versammlung in Lugano Luft verschaffen.