Wenn Patrick Lahusen die ehemalige Gas-Bohrplattform im luzernischen Finsterwald betritt, liegt ein Hauch von Nostalgie in der Luft. Jahrzehntelang suchte er nach einheimischem Gas. In Finsterwald ist er nicht nur fündig geworden, sondern schaffte die kleine Sensation: Knapp zehn Jahre konnte die Schweiz ab 1985 eigenes Gas fördern.
Schweizer Gas aus dem Entlebuch
Von 1985 bis 1994 wurden in Finsterwald insgesamt 74 Millionen Kubikmeter Gas durch das noch heute sichtbare Rohr gefördert. Im Vergleich zu den hierzulande jährlich verbrauchten 3600 Millionen Kubikmetern scheint diese Menge zwar gering.
Dennoch wird die stillgelegte Anlage immer wieder als Beweis dafür aufgeführt, dass im Schweizer Boden förderbare Gasvorkommen vorhanden wären. Dass sich eine Förderung wirtschaftlich lohnt, ist jedoch nicht belegt: Mit dem Gas in Finsterwald konnte nur ein Bruchteil der rund 30 Millionen Franken teuren Bohrkosten gedeckt werden.
Damals als Durchbruch gefeiert, ist von der einstigen Euphorie heute nicht mehr viel übrig. Die defizitäre Anlage in Finsterwald wurde stillgelegt und ist bis heute das einzige erfolgreiche Schweizer Förderprojekt. Lahusen ist aber überzeugt, dass unter der Schweiz ein grosses ungenutztes Potenzial verborgen liegt: «Wir haben damals 30 Bohrungen gemacht und jedes Mal Anzeichen auf Gasvorkommen gefunden.»
Umstrittenes Fracking
Tatsächlich werden auch an anderen Standorten Gasvorkommen vermutet, wie Daten des Bundesamts für Landestopografie zeigen. Um Gewissheit zu erlangen, ob das Gas in den Gesteinsschichten wirtschaftlich nutzbar ist, bräuchte es jedoch weitere Bohrungen. Solchen Vorhaben stehen wirtschaftliche, politische und geologische Hindernisse im Weg.
Man müsste vielerorts ins Fracking gehen.
Der Schweizer Untergrund ist vergleichsweise undurchlässig. Will heissen: Um Gas an die Oberfläche zu bringen, müssten die feinen Poren in den Gesteinsschichten zuerst geöffnet werden: «Man müsste vielerorts ins Fracking gehen», sagt Lahusen.
Bei dieser umstrittenen Technik wird Flüssigkeit mit Sand und Chemikalien in den Untergrund gepresst. Dadurch wird das Gestein aufgebrochen. Der Sand hält die entstandenen Frakturen offen, damit das Gas ungehindert aus dem Boden strömen kann.
Theoretisch wäre Fracking an den meisten Orten erlaubt, wie eine Befragung von SRF News bei den Kantonen zeigt. Ein explizites Verbot oder Moratorium kennen nur einzelne Regionen – etwa der Kanton Waadt. Dort wurde gesetzlich interveniert, nachdem im Kanton eine Explorationsbohrung stattgefunden hatte, die das Potenzial des dort vermuteten Gasdepots klären sollte.
Fördern wir das Gas vor unserer Haustür.
Nun will eine bürgerliche Allianz den Entscheid von damals rückgängig machen. Marc-Olivier Buffat, Präsident der Waadtländer FDP, geht davon aus, dass man ohnehin noch mindestens zehn Jahre auf Gas angewiesen sei: «Deshalb macht es Sinn, dass wir das Gas vor der eigenen Haustür fördern, statt abhängig zu sein.» Der Lokalpolitiker rechnet damit, dass man wegen der teilweise bereits vorhandenen Infrastruktur schon in zwei Jahren für eine eigene Gasproduktion bereit wäre. Und: Das Gas könne ohne umweltbelastende Chemikalien gefördert werden, da es sich um sogenanntes «Tight Gas» handle.
Gasbranche tritt auf die Bremse
Gasförderung in der Schweiz: Das sei keine Option, findet hingegen der grüne Energiepolitiker Kurt Egger. Er warnt einerseits vor grossen Risiken, die dadurch für das Trinkwasser entstünden. Ausserdem mache es keinen Sinn, in einen Kraftstoff zu investieren, der vor dem Hintergrund der schweizerischen Klimaziele keine Zukunft habe: «Wir müssen in erneuerbare Energieträger investieren.»
Dass die Zeit für einheimisches Erdgas vorbei sei, hält auch der Bundesrat fest. Das Bundesamt für Energie rechnet im Gegensatz zu Lahusen und Buffat damit, dass es von der Planung einer neuen Anlage bis zur Gasförderung mindestens sieben Jahre dauern würde. Zudem könnten etwaige Projekte durch Einsprachen zusätzlich verzögert werden.
Die Schweizer Gaswirtschaft bekennt sich zum Netto-Null-Ziel bei den Treibhausgas-Emissionen.
Bedenken hat man auch beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie. Dieser hat diesen Sommer beschlossen, ganz vom Erdgas wegzukommen. Auf ihrer Website hält er fest: «Die Schweizer Gaswirtschaft bekennt sich zum Netto-Null-Ziel bei den Treibhausgas-Emissionen bis spätestens 2050 und treibt schon seit Längerem entsprechende Massnahmen aktiv voran.» So fördert der Verband etwa Wasserstoff und geht davon aus, dass das heutige Gasnetz bis spätestens 2040 auf das klimaneutrale Gas umgewidmet sei. Dank der sogenannten «Power-to-Gas»-Technologie kann überschüssiger Strom, der zum Beispiel Mittags von Photovoltaikanlagen produziert wird, benutzt werden, um Wasserstoff zu produzieren.
Ganz weg von Erdgas - für Patrick Lahusen ist diese Haltung unverständlich. Man habe sieben Projekte, die seinerzeit schubladisiert worden seien und jetzt – wegen der drohenden Mangellage – wieder hervorgeholt werden könnten: «Das wäre nicht zuletzt wegen der veränderten Situation durch den Ukraine-Krieg prüfenswert.» Lahusen versichert, man habe sowohl Daten zu möglichen Gas-Vorkommen als auch potenzielle Investoren für neue Förderprojekte.
Die drohende Mangellage weckt neue Begehrlichkeiten rund um das schlummernde Gaspotenzial unter Schweizer Böden. Dass sich die Sensation von Finsterwald wiederholt, scheint aber – Stand heute – vor allem aus klimapolitischen Überlegungen wenig realistisch.