Gita Gopinath versucht es gar nicht zu beschönigen: Der Aufschwung der Weltwirtschaft verliere an Zugkraft, sagt die Chefökonomin des Währungsfonds: «Die Erholung wird gebremst durch die Pandemie.» Der IWF erwartet für dieses Jahr daher etwas schlechtere Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft als noch im Juli.
Die Revision mag überraschen. Denn vor allem in den Industrieländern und China schien die Wirtschaft nach dem Pandemie-Schock im letzten Jahr längst wieder auf Erholungskurs. Gopinath erklärt das mit grösseren Unsicherheiten.
Dazu gehören vor allem die Pandemie-bedingte Unterbrüche in den globalen Lieferketten. Sie haben zur Verknappung von wichtigen Elektronikteilen wie Computerchips geführt. Viele Unternehmen können daher weniger produzieren, als sie verkaufen könnten, denn die Nachfrage bleibt gross. Auch das heizt – neben steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen – die Inflation an. Ein Risiko für die wirtschaftliche Erholung.
China bleibt Zugpferd
Für das laufende Jahr schätzt die IWF-Chefökonomin vor allem die Wachstumsaussichten für die USA, Deutschland, Spanien und Japan weniger rosig ein als noch im Juli. China dagegen bleibt Zugpferd der Weltwirtschaft. Was den Währungsfonds besonders beunruhigt: Die Kluft zwischen armen und reichen Ländern bei der wirtschaftlichen Erholung wird immer grösser
Bei vielen ärmeren Ländern hat der IWF seine Wachstumsprognose daher nach unten gesetzt. Wegen ihres geringen Gewichts in der Weltwirtschaft macht das in der Gesamtprognose aber nur ein Zehntel Prozentpunkt Unterschied aus. Und trotzdem bedeutet das für viele arme Länder einen grossen Unterschied. Viele drohen abgehängt zu werden. Wichtigster Grund dafür ist nach IWF-Einschätzung die niedrige Impfquote: In reicheren Ländern sind knapp 60 Prozent der Bevölkerung geimpft, in ärmeren gerade vier Prozent.
Solange die Impfquoten nicht steigen, wird es für ärmere Länder immer wieder nötig sein, in den Lockdown zu gehen, um die Bevölkerung zu schützen.»
Auch Entwicklungsökonom Tobias Heidland vom Weltwirtschaftsinstitut in Kiel sieht in der niedrigen Impfquote einen grossen Bremsklotz für die dortige Wirtschaft. «Solange die Impfquoten nicht steigen, wird es für ärmere Länder immer wieder nötig sein, in den Lockdown zu gehen, um die Bevölkerung zu schützen.»
Immerhin: Einige Entwicklungs- und Schwellenländer könnten gemäss IWF als Rohstofflieferanten von den höheren Rohstoffpreisen profitieren. Doch für die Mehrzahl der ärmeren Länder überwiegen – auch hier – die Nachteile: Dass die Lebensmittelpreise in den letzten Monaten um bis zu 40 Prozent gestiegen sind, trifft sie besonders hart, weil die Bevölkerung einen überdurchschnittlich hohen Anteil des Einkommens für Essen und Trinken ausgibt.
Wir wissen, dass Hoffnungslosigkeit zu Spannungen und Unzufriedenheit mit der Politik führen kann – und zu unerwünschten Migrationsbewegungen nach Europa.
Dies alles werde auch Langzeitfolgen haben, befürchtet Entwicklungsökonom Heidland: «In den ärmeren Ländern gab es grosse Rückschritte in der Armutsbekämpfung. Viele Jahre des Erfolgs wurden verloren, gerade beim Abbau absoluter Armut.»
Die Forschung zeige, dass viele Kinder wegen der durch Corona verstärkten Armut bereits aus der Schule genommen wurden. Dann mit abgebrochener Schulbildung in den Arbeitsmarkt drängten, und dort schlechte Chancen hätten. Wenn überhaupt: Denn gerade in afrikanischen Ländern beginnen in den kommenden Jahren Millionen junger Menschen zu arbeiten.
Für sie gäbe es ohnehin viel zu wenig Stellen. Und das könne auch den reichen Ländern nicht egal sein, sagt Heidland. «Wir wissen, dass Hoffnungslosigkeit zu Spannungen und Unzufriedenheit mit der Politik führen kann – und zu unerwünschten Migrationsbewegungen nach Europa.»