Was geschah bisher? Vor rund sieben Monaten wurde der ehemalige Chef der Raiffeisenbank zu einer Haft von drei Jahren und neun Monaten verurteilt – vom Bezirksgericht Zürich. Es geht um den Vorwurf des Betrugs im Zusammenhang von mehreren Firmenübernahmen. Auch die weiteren Angeklagten wurden mehrheitlich verurteilt. Seit dem mündlichen Urteil ist es ruhig um den Fall.
Ist Pierin Vincenz im Gefängnis? Nein, weder Pierin Vincenz noch der zweite Hauptangeklagte, Beat Stocker, sind im Gefängnis, denn es gibt bisher kein rechtsgültiges Urteil. Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Bisher liegt erst das mündliche Urteil des Bezirksgerichts vor – die erste Instanz. Seit mehr als sieben Monaten warten die Angeklagten auf das schriftliche Urteil mit den detaillierten Begründungen. Erst wenn diese vorliegen, können sich die Verurteilten wehren und den Fall an die nächste Instanz weiterziehen.
Ist es normal, dass es so lange dauert, bis das Gericht die schriftliche Begründung vorlegt? Es ist sicher ein ausserordentlicher Fall und demzufolge nachvollziehbar, dass das Gericht Zeit braucht. Es sind Akten, die mehrere hundert Bundesordner füllen. Allerdings hat das Gericht bei Bekanntgabe des mündlichen Urteils im April angekündigt, das schriftliche Urteil liege bereits im Sommer vor. Der Termin wurde dann auf Ende November verlegt und auch dieser konnte nicht eingehalten werden. Laut Bezirksgericht umfasst das schriftliche Urteil rund 1000 Seiten.
Gibt es keine Regeln, wie viel Zeit sich ein Gericht nehmen darf? Doch, eigentlich schon: Dies ist in der Strafprozessordnung geregelt, Artikel 84. Dort heisst es, dass das Gericht das schriftliche Urteil innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, den beschuldigten Personen und der Staatsanwaltschaft zustellen muss. Im Fall von Pierin Vincenz heisst dies, dass das Gericht das schriftliche Urteil eigentlich bis im Sommer hätte vorlegen müssen. Allerdings: Die Gerichte halten sich nur zum Teil an diese Fristen. Laut einem Urteil des Bundesgerichts müssen die Fristen in grossen Fällen nicht zwingend eingehalten werden.
Das Bezirksgericht braucht mehr Zeit als erwartet. Wie ist das zu interpretieren? Zum einen hat das Gericht wohl den Aufwand unterschätzt, und zum anderen könnte es auch darauf hindeuten, dass es schwieriger ist als gedacht, das Urteil schriftlich zu begründen. Das Urteil gegen Pierin Vincenz und dem zweiten Hauptangeklagten fiel härter aus als allgemein erwartet. Nun stellt sich die Frage, wie das Gericht dies im Detail begründet.
Wie geht es weiter? Das Bezirksgericht will das schriftliche Urteil in den nächsten Wochen vorlegen, ohne einen genauen Termin zu nennen. Die Verteidigung der Angeklagten hat dann 30 Tage Zeit, um die 1000 Seiten zu lesen, auszuwerten und danach den Fall an die nächste Instanz weiterzuziehen, ans Zürcher Obergericht.