Um die Erwartungen gleich zu Beginn zu dämpfen: Diese Woche gibt es noch kein Urteil im Monsterprozess gegen Pierin Vincenz und den weiteren Angeklagten. Es ist der Beginn einer neuen Etappe einer langen Reise. Erstmals werden die Angeklagten und deren Anwälte vor Gericht in der Öffentlichkeit auf die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft reagieren können. Man darf gespannt sein, wie die Verteidigung auf die Vorwürfe reagieren wird – und die taktischen Manöver. Die Angeklagten werden von rund einem Dutzend Anwältinnen und Anwälten vertreten.
Der Prozess ist eine logistische Herausforderung – vor allem auch in Zeiten der Pandemie. Laut Bezirksgericht gibt es bereits einen ersten Fall von Corona: Eine wegen Beihilfe zu Betrug angeklagte Person wurde positiv getestet. Die Befragung in diesem Fall findet zu einem späteren Zeitpunkt im Februar statt.
Doppeltes Spiel der Angeklagten
Hauptbeschuldigte sind der ehemalige Chef der Raiffeisengruppe, Pierin Vincenz sowie der ehemalige Chef der Kreditkartenfirma Aduno, Beat Stocker. Ihnen wird Veruntreuung, gewerbsmässiger Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft beantragt sechs Jahre Haft.
Die Anklageschrift umfasst 360 Seiten – darin sind verschiedene umstrittene Firmenübernahmen dokumentiert, sowie private Spesen, die vor allem Pierin Vincenz über die Bank abrechnen liess.
Die Staatsanwaltschaft glaubt, ein kriminelles Muster erkannt zu haben. Denn die beiden Hauptangeklagten beteiligten sich an Firmen – ohne die Beteiligungen offenzulegen – und verkauften diese Firmen an Raiffeisen und Aduno, zu einem aufgeblasenen Preis. Mit der Trickserei machten die Angeklagten laut Staatsanwaltschaft einen ungerechtfertigten Gewinn und schädigten ihre Arbeitgeber. Ein doppeltes Spiel.
Spezieller Fall mit Signalwirkung
Der Prozess ist speziell, weil solche mutmasslichen Betrugsfälle mit dieser Dimension in der Schweiz selten sind. Immerhin steht der ehemalige Chef der drittgrössten Bank vor Gericht. Ausserdem sendet der Fall ein Signal, wie solche heimlichen Absprachen und Geschäfte aus juristischer Sicht beurteilt werden.
Am ehesten ist der Fall von Raiffeisen mit jenem der ehemaligen Rentenanstalt vergleichbar. Beim Versicherer ging es auch um Betrug der Geschäftsleitung. Das Urteil erfolgte erst 14 Jahre nach der Tat, bei der Rentenanstalt musste der Finanzchef ins Gefängnis, die Verurteilten mussten drei Millionen Franken nachzahlen.
Auch im Fall von Raiffeisen geht es um viel Geld. Falls die Hauptangeklagten verurteilt werden sollten, folgen weitere Zivilrechtsklagen mit hohen Forderungen – etliche Millionen.
Bis zu einem rechtskräftigen Urteil für alle Angeschuldigten dauert es wohl mehrere Jahre. Eine lange Reise – mit ungewissem Ausgang.