Mindestens bis zum Sommer nächsten Jahres wird die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins bei Null belassen. Das hat EZB-Chef Mario Draghi heute klargestellt. Die Sparer in Euro-Land müssen sich also weiterhin mit extrem niedrigen Zinsen begnügen.
Das gleiche gelte auch für die Schweiz, sagt Marc Brütsch, Chefökonom des grössten Schweizer Lebensversicherungskonzerns Swiss Life. Denn die Schweizerische Nationalbank (SNB) sei alles andere als frei in ihrer Geldpolitik: «Sie sitzt im Seitenwagen von Mario Draghi und muss ebenfalls eine Tiefzinspolitik weiterführen.»
Denn andernfalls würde der Franken zum Euro sofort wieder stark steigen. Und das kann die Nationalbank mit Rücksicht auf die hiesige Exportwirtschaft keinesfalls zulassen.
Kommt dazu: Nun, da die Wirtschaft in Europa und der Schweiz wieder kräftiger wächst, nimmt auch die Inflation wieder zu. Die Konsumentenpreise klettern also nach oben. Höhere Inflation macht aber die missliche Lage der Sparer nur noch schlimmer, erklärt der Chefökonom von Swiss Life: «In den letzten Jahren hatten wir eine Phase von Deflation, negativen Inflationsraten.»
Damals sei ein Nullzins auf dem Sparheft «real nicht einmal so dramatisch» gewesen, sagt Brütsch. «Heute haben wir die Situation, dass sich die Zinsen noch nicht stark geändert haben. Auf der anderen Seite ist die Inflationsrate aber auf ein Prozent angestiegen. Damit geht die Rechnung weniger gut auf als in den letzten fünf Jahren.»
Sparen lohnt sich nicht mehr
Oder anders gesagt: Zieht man die Inflation, die zu einer schleichenden Entwertung des Sparvermögens führt, vom ohnedies schon mageren Zinsertrag ab, bleibt – unter dem Strich – noch weniger Geld übrig für die Sparer. Inflationsbereinigt drohen sogar Verluste.
Die Europäische Zentralbank nimmt diese Entwicklung in Kauf. Das heisst aber nicht, dass die Währungshüter den Sparern absichtlich schaden. Sie betrachten tiefe Zinsen als das kleinere Übel für ganz Euro-Land, verglichen etwa mit einem Rückfall der Wirtschaft in die Krise.
Heute kann man sagen: Der Zentralbanker kauft dem Finanzminister Zeit, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.
Zugleich aber, sagt Brütsch, mache sich die EZB zur Komplizin der 19 Euro-Staaten. Denn diese sind mehr oder weniger hoch verschuldet. Ihre bereits angespannte Finanzlage würde sich dramatisch zuspitzen bei steigenden Zinsen. Deshalb kommt den Euro-Staaten die andauernde Tiefzinspolitik der EZB äusserst gelegen.
«Heute kann man sagen: Der Zentralbanker kauft dem Finanzminister Zeit, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen», sagt der Ökonom. Und diese zusätzliche Zeit benötigen die Finanzminister tatsächlich auch, ergänzt er.
Denn in den 19 Staaten der Euro-Zone liegt die Staatsschuld gemessen an der wirtschaftlichen Gesamtleistung derzeit bei durchschnittlich fast 90 Prozent. Im hoch verschuldeten Italien beträgt die Schulden-Quote sogar rund 130 Prozent.
Lobende Worte für Draghi
Wenn nun die Euro-Staaten auf den Schultern der Sparer ihren Haushalt sanieren – noch dazu mit indirekter Unterstützung durch die Notenbanker, dann stellt sich ja schon die Frage: Kann und soll man der EZB einen Vorwurf dafür machen?
Marc Brütsch geht nicht so weit. Er hat sogar lobende Worte übrig für EZB-Chef Draghi: «Er war 2012 fast gezwungen zu diesen drastischen Massnahmen, um seine Versprechen zu halten und den Euro zu retten.»
Draghi erfülle weiter das Inflationsziel der EZB. Insofern mache er bisher einen guten Job. Ob der Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik in den nächsten zehn Jahren gelingen werde, obliege dann Draghis Nachfolger. «Bisher würde ich aber allen Notenbankern – auch hier in der Schweiz – ein gutes Zeugnis ausstellen», sagt Brütsch.
Für Sparer ist das jedoch ein schwacher Trost.