Noch wirken sich die westlichen Sanktionen wenig auf die russische Wirtschaft aus, sagt Journalist Friedrich Schmidt. Es gebe aber eine starke Deflation, also einen Rückgang der Nachfrage nach Gütern. Russland werde deshalb die schwerste Rezession seit 30 Jahren prophezeit.
SRF News: Ist die russische Wirtschaft trotz der Sanktionen robust geblieben?
Friedrich Schmid: Richtig ist, dass die Folgen der Sanktionen und auch des Rückzugs westlicher Unternehmen allmählich sichtbar werden. Da fehlen Ersatzteile. Arbeiter, die zunächst bezahlt freigestellt worden waren, werden jetzt gekündigt.
Experten gehen bei den Importen von starken Rückgängen von bis zu 80 Prozent aus.
Wie es um die russische Wirtschaft steht, ist immer schwerer zu sagen, weil Indikatoren wie die Daten für Importe mittlerweile geheim gehalten werden. Experten gehen bei den Importen von Rückgängen von bis zu 80 Prozent aus.
Die Preise in Russland sinken wieder. Der Rubel ist stärker als vor Kriegsbeginn. Wie kommt das?
Ja, er ist vergleichsweise stark. Doch es ist kein Ausweis für die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Volkswirtschaft, dass der Kurs des Rubels im Vergleich zu anderen Währungen gestiegen ist.
Vor etwa einem Monat hat eine Deflation begonnen, das heisst, die Nachfrage schrumpft.
Das liegt vielmehr an dem Leistungsbilanzüberschuss. Russlands Exporte von Rohstoffen sind aufgrund der hohen Preise für Öl und Gas auf höchstem Niveau, weil gleichzeitig kaum etwas importiert wird. Wegen der Sanktionen gibt es kaum Bedarf an Devisen. Vor etwa einem Monat hat eine Deflation begonnen, das heisst, die Nachfrage schrumpft. So kommt eine Abwärtsspirale in Gang. Produzenten verringern ihre Investitionen, kündigen Personal oder kürzen die Gehälter. Dann fällt die Nachfrage weiter und die Volkswirtschaft schrumpft. Fachleute sagen, dass Russland in die schwerste Rezession seit 30 Jahren fällt.
Wie sehr beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung, ob die Menschen Putin gegenüber wohlgesinnt sind?
Gar nicht wenig. Die real verfügbaren Einkommen stagnierten oder sanken schon vor dem Überfall jahrelang. Da sank auch Putins Beliebtheit. Aber Umfragen in Russland sind immer mit Vorsicht zu geniessen, und es wird auch keine Alternative zu Putin zugelassen.
Putin konnte in den vergangenen Jahren mit Einmalzahlungen gegensteuern und andere als Blitzableiter für die Misere verantwortlich machen.
Putin konnte früher mit Einmalzahlungen gegensteuern und andere als Blitzableiter für die Misere verantwortlich machen. Nun kommt die Propaganda vom bedrohten Vaterland und vom Entscheidungskampf mit dem Westen hinzu.
Wie sind die Prognosen für die Zukunft der russischen Wirtschaft?
Es geht ganz offiziell abwärts. Ende April hat Russlands Zentralbank für 2022 eine Rezession vorausgesagt, einen Rückgang von 8 bis 10 Prozent. Der IWF prognostiziert, dass – wenn Putin an der Macht bleibt – es früher oder später einen eingefrorenen Konflikt in der Ukraine geben wird.
Die Lebensqualität der Russen werde zu zehn oder 20 Prozent schlechter sein wird als vor den Kriegen. Schon jetzt ist sichtbar, dass Russland noch mehr vom Rohstoffexport abhängig ist als vorher. Öl, Gas, auch Getreide und Maschinenbau, Elektroindustrie werden durch den Ausfall ausländischer Komponenten paralysiert.
Zurzeit findet das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg statt. Kein einziger Vertreter aus westlichen Ländern ist anwesend, dafür sind die Taliban da. Eröffnet wurde das Forum mit einem Kanonenschuss der Vertreter der prorussischen Volksrepublik Donezk im Donbass. Das zeigt: Der Kurs geht nicht Richtung Wirtschaft, sondern Richtung Krieg.
Das Gespräch führte Nina Gygax.