Die gute Nachricht zuerst: Die 100 grössten Schweizer Arbeitgeber erreichen die sogenannten Geschlechterrichtwerte, die seit 2021 gelten. In Geschäftsleitungen sitzen 20 Prozent Frauen, in Verwaltungsräten 31 Prozent.
Doch dies als Erfolg zu verbuchen wäre kurzsichtig, sagt Guido Schilling, Herausgeber des Schillingreports. Er analysiert seit fast 20 Jahren die Zusammensetzung der Chefetagen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber.
Die Geschlechtervielfalt hat sich über die letzten Jahre zwar verbessert. Aber noch immer gibt es Unternehmen, in denen gar keine Frau in der Geschäftsleitung sitzt (23 Prozent). Dieser Wert hat sich zuletzt nicht verändert. In den Vorjahren war er stark rückläufig. Die Entwicklung hat also an Dynamik verloren.
Es ist eine Abflachung spürbar, die mich aufhorchen lässt
Die flauere Entwicklung zeigt sich auch bei jenen Unternehmen, die mit 30 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung einen höheren als den von der Politik geforderten Richtwert aufweisen. Während dieser Anteil in den letzten Jahren kontinuierlich auf bis zu 21 Prozent im Jahr 2023 anstieg, sank er zuletzt auf 20 Prozent. Ohne die 20 grössten börsenkotierten Unternehmen liegt der Anteil bei nur 18 Prozent.
Und selbst bei den 20 grössten Konzernen, die im Aktienindex SMI gelistet sind und darum besonders im Schaufenster stehen, ist die Entwicklung abgeflacht. Im Verwaltungsrat stagniert der Frauenanteil bei 34 Prozent, in der Geschäftsleitung ist er zwar mit 26 Prozent nochmals leicht gestiegen. «Aber es ist eine Abflachung spürbar, die mich aufhorchen lässt», so Schilling.
Unternehmen müssen aktiv bleiben
Er vermutet, dass sich die Unternehmensstrategen etwas zurücklehnen. Gerade in den letzten Jahren, vor Einführung der sogenannten Geschlechterrichtwerte, war der Druck auf die Unternehmen gross. Nun aber habe dieser Druck offensichtlich nachgelassen, so Schilling. Nachhaltige Diversität sei aber nur möglich, wenn Unternehmen aktiv bleiben und die Zusammensetzung der obersten Gremien nicht dem Zufall überlassen.
Das heisst: Es genügt nicht, Frauen vereinzelt zu befördern. Die Entwicklung muss einhergehen mit passenden Rahmenbedingungen und einer entsprechenden Unternehmenskultur. Expertinnen nennen beispielsweise flexible Arbeitszeitmodelle, bewusste Selektionsprozesse und interne Reflexion als zentrale Bausteine für diesen Rahmen und die Kultur.
Frauen schielen ins Ausland
Noch sind diese Aspekte zu wenig implementiert. Einige Frauen haben der Karriere bei grossen Schweizer Unternehmen ganz den Rücken gekehrt. Sie wechseln in die Beratung, machen sich selbstständig oder ziehen ins Ausland. Ein prominentes Beispiel ist die frühere Chefin von McDonald's Schweiz, Aglaë Strachwitz. Sie sitzt neu auf dem Posten des Chief Restaurant Officer in Frankreich. Ihre Nachfolgerin ist immerhin wieder eine Frau – das ist in anderen Fällen nicht so.
«Die gewonnenen Frauen zu halten, ist ein Schlüssel», sagt Schilling. Er stellt fest, dass Frauen mit drei Jahren weitaus weniger lang in ihren Positionen bleiben als die männlichen Kollegen mit 7 Jahren Verweildauer.
Was also tun, um die Abgänge zu stoppen? Die Rezepte sind längst bekannt: Unternehmen sollten junge Frauen fördern und den neuen Chefinnen eine attraktive, längerfristige Karriere ermöglichen, die sich mit der Familie vereinbaren lässt.